Mein Name ist Afra (German Edition)
die Mischung von Justina getrunken hatte, spürte ich einen Tag lang so heftige Schmerzen, als ob mein Körper von glühenden Zangen zerrissen würde, mein heißer Schweiß tränkte die Erde, und ich blutete so stark und so lange aus meiner Leibesmitte, daß wir beide um mein Leben bangten, und wir konnten doch nichts mehr ändern oder aufhalten!“
Mit Augen voll Tränen schaute Richlint über die Erdhügel weit hinweg in die Ferne, und sie zitterte wie Espenlaub bei der Erinnerung an diese Stunden. „Wir hatten solche Angst, Justina und ich, so große Angst davor, daß ich sterben könnte! Und als das Kind da war, ein winziger, toter Klumpen voll Blut und Schleim, an dem wir die Augen und die Hände und die Füße deutlich erkennen konnten, da überkam mich die Trauer über das, was ich getan hatte, und ich weinte und schrie, bis ich keine Tränen mehr in meinen Augen und keine Stimme mehr in meiner Kehle hatte.“
Nach einer langen Pause fuhr sie fort, müde und ausgebrannt. „Und doch hätte ich nicht anders handeln können, und es gab nur diesen einen Weg für das Ungeborene und für mich. Ich bereue es nicht.“
Justina hatte sich wieder zu Richlint und mir auf den Boden gehockt, aber jede von uns drei saß für sich allein und hing still ihren eigenen Gedanken nach. Ich konnte kaum fassen, was passiert war, und obwohl ich Richlint liebte und ihren Trotz und Eigenwillen gut kannte, so war ich doch im Innersten entsetzt über das, was sie und Justina getan hatten. Endlich wagte ich zu sprechen, mit trockenem Hals, leise und mühsam.
„Ihr habt nicht nur mit Justina´s Mittel den Tod herausgefordert! Wenn euch jemand dabei überrascht hätte oder auch jetzt noch davon erfahren würde, dann würdet ihr beide vor das Gericht der freien Männer in Pitengouua gestellt, und die Strafe auf die Abtreibung eines Kindes ist hart und grausam! Sie würden dir die Hände und Füße zusammenschnüren und dich im Dorfteich ertränken, Richlint, weil du Chuonrads Kind getötet hast, und dich, Justina, als unbelehrbare Heidin und Helferin bei dieser unseligen Tat, dich würden sie solange mit schweren Steinen bewerfen, bis kein Hauch von Luft mehr in deiner Brust wäre!“
Richlint sah mich an. „Niemand außer uns drei Frauen weiß von meiner Schwangerschaft und dem kleinen, toten Wesen, das hier begraben ist, und wenn du deine Zunge hütest, dann wird bis zum jüngsten Tag auch keine menschliche Seele davon erfahren!“
Justina spürte meinen Abscheu und mein tiefes Entsetzen, und sie legte versöhnlich ihren Arm um mich. „Es ist gut ausgegangen, Afra, die Göttin hat über uns gewacht! Richlint und ich haben uns würdig von diesem Kind verabschiedet, mit Räucherwerk haben wir es gemeinsam in einer liebevollen Zeremonie in den Himmel geleitet. In einer eisernen Pfanne mit glühenden Kohlen verbrannte ich die Zweige und Beeren des Wacholder, der Erdmutter geweiht gegen Dämonen und Geister, und das Harz der Fichte diente zur Reinigung der Seelen von uns allen. Kostbaren Weihrauch, den ich vom Händler Hildeger gegen ein wirksames Heilmittel erhalten habe, streute ich in das Feuer, damit der Geist des toten Kindes gesegnet sei und mit dem heiligen Rauch in den Himmel aufsteigen konnte. Vertraue mir, seine Seele hat ihren Frieden gefunden!“
Die Worte von Justina konnten mich nicht beruhigen. „Du hättest es doch versuchen können, Richlint, und dein Kind austragen und zur Welt bringen, vielleicht wäre dann auch mit Chuonrad alles besser geworden! Sieh´ doch, wie glücklich ich mit Leonhard und unseren beiden Kindern bin, und welche Freude jeden einzelnen Tag Riwin für seine Mutter Justina bedeutet! Kinder zu gebären ist doch der Sinn in unserem Leben als Frauen, und dein Mann würde dich dafür ehren und lieben. Du kannst dich doch nicht dein ganzes Leben lang immer nur allem und jedem widersetzen und auf ein Glück warten, das es auf dieser Erde gar nicht gibt!“
Richlint war aufgestanden und hatte sich mir gegenüber aufgestellt, die Fäuste entschlossen in die Seiten gestemmt, schaute sie mich herausfordernd an. „Ich habe gewußt, daß du mich nicht verstehen wirst, Afra, du siehst über deinen Meierhof und die Köpfe deiner Kinder nicht mehr hinaus! Was weißt du von meinem Leben im Haslach, von der harten, schweren Arbeit tagsüber und den unerträglichen Nächten mit Chuonrad, von meinen vielen Tränen und der heißen Sehnsucht nach einem anderen Dasein, die mich nicht schlafen läßt und jeden Tag
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