Mein Name ist Afra (German Edition)
vor Morgengrauen umher treibt? Du bist zufrieden mit deinem Los und begehrst nichts anderes, aber ich will mich nicht damit abfinden, unglücklich zu sein! Ich werde mich widersetzen, bis Chuonrad mich verstößt und ich endlich frei bin und selbst über mich entscheiden kann!“
Ich sehe sie immer noch aufrecht vor mir stehen, meine Freundin Richlint, mit hoch gerecktem Kinn und trotzig vorgeschobenen Lippen, aus dem zuvor ordentlich festgesteckten Zopf voll braungolden melierter Haare hatten sich einige Strähnen gelöst und fielen ihr auf die schmalen Schultern, und die sonst so blasse und durchscheinende Haut war vor lauter Aufregung mit roten Flecken überzogen. Im Licht der Sonne blitzten die vertrauten goldenen Splitter in ihren Augen auf, und ihr Blick suchte trotz ihrer bestimmten Haltung nach Verständnis und Billigung bei mir. Lange und offen haben wir an diesem Nachmittag unter den Salweiden des kleinen Friedhofs miteinander gesprochen, Richlint und ich, und obwohl ich meiner Freundin mit eindringlichen Worten zuredete, ihre Stellung als Ehefrau von Chuonrad anzunehmen und ihm Kinder zu gebären, konnte ich doch ihren Sinn nicht ändern. Justina schwieg die meiste Zeit und hörte uns nur aufmerksam zu, den Kopf mit den dunklen Locken leicht zur Seite geneigt und die tiefschwarzen Augen unergründlich wie ein Moorsee bei Nacht, und ich bin mir sicher, daß sie damals schon mehr über unser Schicksal erahnte, als sie sich selbst eingestehen wollte.
Eines der Freundschaftsbänder zwischen Richlint und mir war an diesem sonnigen Nachmittag gerissen, und obwohl ich sie wie eine Schwester liebte und angestrengt versuchte, ihr Handeln zu verstehen und ihr nahe zu bleiben, so war doch plötzlich eine Fremdheit zwischen uns, wie wir sie vorher niemals gekannt hatten.
Im folgenden Sommer und Herbst kam Richlint nicht ein einziges Mal alleine nach Pitengouua, und wir sahen uns nur noch inmitten der ganzen Familie am Sonntag zur Messe. Das Gerücht, daß Chuonrad seine Frau wegen ihrer Unfruchtbarkeit verstoßen wolle und schon nach einem neuen Weib suche, war immer öfter zu hören, und als ich Richlint nach dem Kirchgang besorgt danach fragte, war ein fröhliches Lachen ihre ganze Antwort, und ich wurde wütend wegen ihrem Leichtsinn und ihrer Unbekümmertheit und stellte ihr vor, welche Macht ihr Mann über sie hatte und wie sehr er ihr bei einer Trennung schaden konnte. Als dann noch am ersten Tag eines schneereichen Winters ihr Bruder Rasso auf einem riesigen schwarzen Pferd in den Hof geritten kam und uns mitteilte, daß er als Mönch auf einer Klosterinsel leben und das irdische Leben aufgeben werde, mit allem Besitz und Einfluß, den er besaß, da machte ich mir um Richlint große Sorgen. Sie hatte nur den Welfengraf Roudolf und ihren Bruder Rasso als Beschützer, wenn ihr Mann sie verstoßen sollte, und der eine war weit weg im Schussengau und hatte sich schon lange nicht mehr bei uns blicken lassen, und der andere sollte nun ein einfacher Mönch ohne weltlichen Einfluß werden, vor ihm würde Chuonrad keinen Respekt haben und sich an nichts hindern lassen.
In diesem Winter hatte es in unserem Gau so stark geschneit wie schon seit vielen Jahren nicht mehr, und der Schnee blieb über Wochen und Monate liegen und taute nicht weg, denn es herrschte eine Eiseskälte. Es war in dieser Zeit unmöglich, selbst so kurze Strecken wie vom Haslach nach Pitengouua zu reiten, und ich hörte und sah von Richlint über lange Wochen nichts mehr. Um so erstaunter waren Leonhard und ich, als eines Tages trotz der widrigen Witterung Chuonrad auf den Meierhof geritten kam, dick eingehüllt in das Fell eines Bären bat er seinen Bruder, mich im Frühjahr mit Richlint auf eine Wallfahrt nach Augusburc zu schicken, damit seine Frau dort der heiligen Afra Opfergaben bringen und beten könne, und damit von ihrer Unfruchtbarkeit erlöst würde. Leonhard war froh, daß sein älterer Bruder den Gedanken an eine Ehescheidung anscheinend aufgegeben hatte und stimmte dem Ansinnen von Chuonrad sofort zu, und ich lachte vor Glück, denn nun würde sich alles zum Besten richten, und ich freute mich aufs Frühjahr und auf das Zusammensein mit meiner Freundin.
Ω
Es war zur Tagesmitte im heißen Monat August des Jahres 950, als der Händler Hildeger mit mehreren Sklaven und seinem randvoll mit Weinfässern, Ölflaschen und Gewürzsäcken beladenen Planwagen auf der alljährlichen Handelsreise durch Baiern und Schwaben im Dorf Pitengouua
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