Mein Name ist Afra (German Edition)
bildeten einen eigentümlichen Gegensatz zu den strahlend blauen Augen, die er von seinem Vater Arbeo geerbt hatte. Justina hängte gerade über einem rohen Holzgerüst ihre gesammelten Kräuter zum Trocknen in die warme Sonne und beobachtete dabei lächelnd Richlint und Riwin beim Schwertspiel, und in ihren schwarzen Augen glänzte der Stolz auf ihren geschickten kleinen Sohn, den sie alleine und ohne jede Hilfe geboren und aufgezogen hatte.
Im kühlen Schatten einer Mauer döste ein weißer Hund und erhob sich jetzt schwerfällig, um mich zu begrüßen, aber es war nicht mehr der gute, alte Cimbro unserer Kindertage, sondern sein Nachfahre, und für einen Moment überkam mich bittere Wehmut im Angesicht all dieser Vergänglichkeit. Justina erkannte wie immer auf geheimnisvolle Art meine Gedanken und Gefühle, und nachdem sie mich herzlich umarmt hatte und Richlint und Riwin mir zuwinkten, ohne ihr Spiel zu unterbrechen, nahm sie mich an der Hand und ging mit mir zu dem kleinen Friedhof im hinteren Hof, auf dem alle ihre geliebten Tiere begraben waren. Auch das Grab von Walburc´s totgeborenem Kind hatte Justina dort angelegt, denn in Pitengouua wurden keine Kinder bestattet, die nicht geatmet hatten und nicht getauft waren, man sprach ihnen keine Seele zu und warf sie hinter den Anger oder einfach in den Wald. Justina aber glaubte auch an die nichtgeborenen Wesen, und nach Walburc´s Tod hatte sie den toten Säugling leise und ohne Aufsehen in ihr Umschlagtuch gewickelt und mit zum Gutshof genommen, um ihn dort zu bestatten und würdig Abschied von seinem Geist zu nehmen. Dafür war ich ihr unendlich dankbar, denn meine Schwester war nun im Paradies wieder mit ihrem Kind in ewigem Frieden vereint, und ihre gequälte Seele konnte endlich Ruhe finden.
Der kleine Totenacker war ein stiller Platz, beschattet von mehreren Sträuchern der Salweide, deren bittere Rinde von den gefräßigen Ziegen verschmäht wurde und aus der Justina schmerzstillende Heilmittel gewann, und wir setzten uns dicht neben diese Bäume auf den trockenen Boden am Rande des Friedhofs und ließen den Blick über die niedrigen Hügel wandern, die Justina mit allen möglichen Blumen und buschigen Gewächsen bepflanzt hatte. Meine Gedanken führten mich vom weißen Hund Cimbro zum toten Sohn von Walburc und all den geliebten Tieren, die hier begraben waren, und als ob ich laut gesprochen hätte, erkannte Justina meine traurigen Gefühle und gab mir die Antwort auf meine Fragen.
„Nichts und niemand geht verloren auf dieser Erde und unter diesem Himmel, Afra, und kein Mensch und kein Tier und keine Pflanze geht ohne Sinn, ohne eine Spur zu hinterlassen. Du wirst sie alle wiedersehen, die du geliebt hast, und es wird ein herrliches Wiedersehen werden, aber du mußt erkennen, daß die menschliche Seele sehr viel Zeit braucht, bis sie vom Dasein gelernt hat und wahrhaftig weise geworden ist, und daß darüber mehrere Leben vergehen können! Laß´ Walburc und ihr Kind ohne Trauer gehen, und auch Cimbro und deine Mutter, denn ihre Zeit hier bei uns war vollendet, und sie wollen ein anderes Leben beginnen.“ Die Stimme von Justina war klar und sicher, und ich zweifelte keinen Augenblick an der Wahrheit ihrer Worte, sondern fühlte mich so getröstet und gestärkt, wie es der Priester unserer Kirche mit seinem jammervollen Bild von den armen Seelen im Fegefeuer und der ständigen Drohung von der ewigen Verdammnis in der Hölle niemals zuwege gebracht hatte.
Richlint hatte die letzten Sätze von Justina gehört, sie war uns nachgegangen und ließ sich nun neben mir auf der Erde nieder. „Hier liegt mein Kind begraben,“ sagte sie in einem ausdruckslosen Ton und deutete auf eine mit frischem Erdreich bedeckte Stelle, „und ich habe es gehen lassen, denn ich war nicht die richtige Mutter für dieses ungeborene Wesen, und es wäre unser beider Unglück gewesen, wenn es das Licht der Welt erblickt hätte.“ Vollkommen überrascht starrte ich in ihr Gesicht, denn von einer Schwangerschaft oder gar Geburt bei meiner Freundin hatte ich nichts gewußt.
„Schau´ mich nicht so entsetzt an, Afra, du weißt doch sehr gut, daß ich von Chuonrad kein Kind empfangen will! Seit ich gezwungen wurde, seine Frau zu werden und bei ihm zu liegen, habe ich alles getan, um eine Schwangerschaft zu verhindern, und ruhig war ich nur an den Tagen, an denen er mich nicht berühren durfte!“ Mit fahrigen Bewegungen zupfte Richlint einzelne Grashalme ab und zerriß sie beim
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