Mein Name ist Afra (German Edition)
Welt kennt, sondern das fühle ich auch tief und sicher in meiner eigenen Brust! Ich werde hier in dieser alten Hütte meiner Mutter, die so schön und doch so unglücklich war, auf die Gunst des Schicksals warten, und die Zeit wird mir nicht lang werden, denn endlich bin ich frei!“
954 - 955 Liebe und Tod
Afra
Friedliche und heitere Jahre folgten nach der Scheidung von Richlint und Chuonrad für uns Frauen, voller Lachen und Wärme und gemeinsamer täglicher Arbeit, und ich betete jeden Abend aus tiefstem Herzen zu Gott und allen Heiligen, daß es bis zu unserem Tod so bleiben möge und weder die Männer aus unserem Gau noch feindliche Eindringlinge aus fremden Ländern Richlint, Justina und mich wieder auseinanderreißen sollten. Frieden und Ruhe aber war uns nur für eine kurze Zeitspanne vergönnt, und dann brach das Geschehen wild wie ein Sturmwind über uns herein und riß meine Richlint auf seinen rasenden Schwingen mit sich fort.
Im Frühling des Jahres 954 begann für meine Freundin das einzige, große Glück in diesem Leben und damit zugleich ihr schreckliches Ende, und sie warf sich ihrem Schicksal so entschlossen und freudig in die Arme, daß ich immer noch glaube, sie würde heute wieder und wieder so handeln, obwohl sie den bitteren Ausgang an Leib und Seele erfahren hat.
Naß von Schweiß und mit bebenden Gliedern war ich in einer warmen Herbstnacht des Jahres 953 neben meinem tief und ruhig schlafenden Mann aufgewacht, verstört durch einen überaus seltsamen Traum, und wenn ich auch heute den Sinn dieses Traums und seiner eigenartigen Bilder zu verstehen glaube, so begriff ich doch damals weder die göttliche Warnung noch den tiefgreifenden Wandel, der mir vorausgesagt wurde, und nur undeutliche Angst und Unsicherheit blieben von dieser Nacht zurück.
In diesem Traum ging ich mit einem Flechtkorb voller Kräuter und Wurzeln auf dem Rücken auf einem seit Kinderzeiten vertrauten Pfad, und ich lief und lief, ohne ein wirkliches Ziel zu haben und achtete weder auf den Weg noch auf meine Umgebung. Plötzlich stand ich an einer Gabelung, die ich nie vorher gesehen hatte, nach rechts führte der Weg durch dichtes Unterholz in ein nebliges Tal und nach links auf eine hochgelegene Ebene mit klarer und durchsichtiger Luft. Es herrschte eine unnatürliche Stille, als ich an dieser Kreuzung verharrte, kein Laut war zu vernehmen außer meinem eigenen heftigen Atem, und obwohl ich wußte und spürte, daß der linke Pfad der richtige Weg für mich war, drängte alles in mir nach rechts, und ohne eigenen Willen oder Vorsatz folgten meine Füße wie unter Zwang dem steilen Weg bergab, bis ich schließlich über die Knöchel im Sumpf einer morastigen Senke versank, in deren schlammigen Löchern der Steig endete.
Verwundert blieb ich stehen und schaute mich um, als hoch über mir im Himmel laut und spitz der warnende Schrei eines Vogels ertönte und eine große Feder langsam und sanft auf den Strömen der Luft herab schwebte und genau vor meinen Füßen liegen blieb. Der Vogel war längst verschwunden, als ich nach oben schaute, und so nahm ich die Feder vom Boden auf und betrachtete sie genauer. Ihre Zeichnung und Farbe war genauso wie die Augen meiner Freundin, wenn sie aufgeregt oder wütend war, dunkelbraun mit goldenen Splittern, und als ich den Blick wieder hob, sah ich Richlint unbeweglich wie eine von Leonhard aus Holz geschnitzte Figur auf einer Anhöhe über mir stehen. Sie schien mich nicht zu bemerken, sondern schaute starr auf eine Felswand, die aus dem Tal emporragte und vorher noch nicht dagewesen war, und obwohl ich den Mund öffnete und verzweifelt nach ihr rief, kam doch kein Laut über meine Lippen, sosehr ich mich auch anstrengte, und ich konnte nicht zu ihr hinüber laufen, denn meine Füße waren im Schlamm wie eingefroren und ließen sich nicht bewegen.
Meine Augen folgten ihrem regungslosen Blick, und ich sah eine von Büschen und Sträuchern eingewachsene Höhle in der felsigen Wand, vor der ein Rudel Wölfe friedlich beisammen lagerte und döste. Plötzlich und ohne ersichtlichen Grund fuhr eines der Jungtiere dem Vater und Rudelführer an die Kehle und versuchte mit seinen starken, weißen Zähnen den schwarzgrauen Alten zu erwürgen, und die anderen jungen Wölfe sprangen verunsichert auf und fielen nach kurzem Zögern ebenfalls über den Leitwolf her. Die zutiefst verängstigten Weibchen drängten sich mit ihren Welpen am Rande der Höhle zusammen und heulten
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