Mein Name ist Afra (German Edition)
Sache machen wollte, stieß in unserem Dorf auf Unverständnis und tiefe Empörung, denn keiner konnte vergessen, wie diese Räuber bei uns gewütet und gemordet hatten, und der Haß auf dieses Volk steckte fest in unseren Herzen. An jedem Sonntag nach dem gemeinsamen Kirchgang und den inbrünstigen Fürbitten für Bischof und König saßen die freien Männer unseres Gaus bis zur Abenddämmerung in der Stube des Meierhofes zusammen und besprachen die wenigen Neuigkeiten, die in diesem Winter bis zu unserem Dorf drangen, und Richlint und ich schenkten ununterbrochen frischen Met und gesüßten Kräuterwein in die schnell geleerten Tonbecher und lauschten gespannt den Gesprächen. Die magere Gisel, ein blutjunges, elternloses Mädchen, das als Kindsmagd bei uns ihr Auskommen gefunden hatte, tischte hölzerne Platten mit gebratenen Fleischstücken und Brot auf und zuckte jedesmal erschrocken zusammen, wenn Chuonrad von Haslach zur Bekräftigung seiner ohnehin lauten Rede mit der Faust auf den Tisch haute, daß die Becher wackelten.
Der mächtige Haslachbauer hatte bereits ein halbes Jahr nach der gesetzlich anerkannten Trennung von Richlint ein sehr vermögendes Mädchen aus einer weit nördlich gelegenen Siedlung zur Frau genommen und damit den Wohlstand der Familie weiter vermehrt, und nun fürchtete er um sein Hab und Gut, falls der Aufstand niedergeschlagen werden sollte, weil sein Bruder Utz unter den ersten Anhängern des Schwabenherzogs gewesen war und mit ihm vielleicht die ganze Familie zur Rechenschaft gezogen wurde. Deshalb gab sich Chuonrad besonders königstreu und sprach sogar davon, mit dem Bischof gegen Liudolf und seinen leiblichen Bruder zu ziehen und jeden Ungarn, der in Baiern als Freund und Verbündeter einziehen wollte, mit bloßen Händen zu erschlagen, und die Männer am Tisch lobten seine Rede und tranken gerne einen weiteres Mal auf diesen tapferen, freien Bauern.
Seine junge Frau hatte Chuonrad schon ein Jahr nach der Hochzeit den langersehnten Sohn und Erben geboren und damit seinen dringendsten Wunsch erfüllt, und der Herr des Haslachtals war milder und umgänglicher geworden und fand sogar manchmal ein Wort des Dankes, wenn Richlint ihm einen Becher hinstellte. Jahrelang hatte Chuonrad beim Kirchgang am Sonntag seine ehemalige Frau mit keinem Blick gewürdigt und sich zusammen mit der blonden Liutbirc von Dornau kräftig darum bemüht, Richlint weit weg von den Tälern der Ambra und Lecha wieder zu verheiraten, und nur dem Wohlwollen des Grafen in Altdorf und ihrem eigenen, starken Willen hatte es meine Freundin zu verdanken, daß wir noch zusammen in Pitengouua lebten. Die meisten Menschen in unserem Gau betrachteten die frühere Haslachbäuerin durchaus mit Wohlgefallen und ein wenig Mitleid, aber es gab doch einige, denen das freie Leben einer alleinstehenden Frau mißfiel und die sich darüber die Mäuler zerrissen. Besonders für Liutbirc und ihre Mutter Uoda war Richlint in der alten Hütte von Folchaid ein Dorn im Auge, und sie bedrängten den Burgvogt und den Meier immer wieder, sie nach Altdorf zum Grafen zu schicken oder nach einem geeigneten Ehemann Ausschau zu halten.
„Es wird sich doch irgendwo im Gau ein alter Witwer mit einigen noch unmündigen Kindern finden lassen, der wird froh und dankbar sein für eine Hausfrau!“ hörte ich Liutbirc bei Leonhard nörgeln, „und wenn er selber schon Vater ist, dann macht ihm die Unfruchtbarkeit von Richlint nichts aus! Es ist einfach unpassend, daß diese noch junge Frau ganz allein im Dorf lebt, nicht ledig und nicht verheiratet, und es ist deine Aufgabe als Meier und die meines Bruders Wichard als Burgvogt, die Ordnung wieder herzustellen und für christliche Sitten zu sorgen!“
Liutbirc, die Richlint nach ihren offenen Worten auf unserer gemeinsamen Wallfahrt zur heiligen Afra noch mehr als früher ablehnte, beobachtete das tägliche Leben und Handeln meiner Freundin argwöhnisch, und sie wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, um ihr etwas Schlechtes nachzusagen und sie vor das Dorfgericht zu bringen. Aber Richlint hielt sich immer bescheiden und ruhig im Hintergrund, ließ beim Kirchgang allen verheirateten Frauen den Vortritt und achtete darauf, niemals mit einem Mann alleine zu sein, damit kein Gerede über sie entstehen konnte.
„Ich brauche Liutbirc´s Anerkennung nicht,“ sagte sie zu Justina und mir, „und schon gar nicht ihr Wohlwollen, denn endlich lebe ich so frei und ungebunden, wie ich es mir immer
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