Mein Name ist Afra (German Edition)
morden, und dann sind sie genauso schnell wieder wie vom Erdboden verschluckt verschwunden! Sie kennen nichts anderes als dieses rauhe Leben ohne festen Wohnsitz, denn sie sind Nomaden wie ihre Vorfahren aus der Steppe weit im Osten, und sie verachten die Bauern, die ihre Felder bestellen und ihre Kühe hüten und halten dies für Sklavenarbeit, unwürdig eines echten Mannes und tapferen Kriegers.“
Hildeger klopfte dem Jungen anerkennend auf die Schultern. „Dein Vater hat nicht gelogen, du bist aufmerksam und nicht dumm, mein Kleiner! Es ist immer wichtig, den Feind genau zu kennen und einzuschätzen, auch wenn er gerade ein Freund und Verbündeter ist, wer weiß, wann sich das wieder ändert! Ich selber glaube nicht an den Sieg von Herzog Liudolf und seinen Verbündeten, wenn es auch im Augenblick so aussehen mag, als ob ganz Baiern und Schwaben auf seiner Seite stehen würde! Aber ich bin nur ein einfacher Händler und verstehe nichts von der Kriegsführung, wie du richtig sagst, und ich will nur in Frieden mit meinem Wagen herumziehen und mit meinen Waren handeln, gleich ob mit Bauern oder Nomaden!“
Vor dem großen Zelt angelangt, betrachtete Hildeger ausgiebig die Rüstung und die Waffen des Ungarnführers, die neben dem Eingang wie zur Ansicht aufgestellt waren. Ein Wams aus geschmeidigem Leder und ein eiserner Lamellenpanzer lagen neben mehreren Stoßlanzen auf der Erde, ein aus Eibenholz und Horn zusammengesetzter, spannkräftiger Bogen lehnte neben einem Lederköcher voller Pfeile mit aufgesetzten, geschmiedeten Spitzen, und auf einer hohen Stange steckte der fremdartige Helm dieses Kriegers, aus eisernen Lamellen gefertigt, die von Lederbändern zusammengehalten wurden. Aus dem halbkugeligen Scheitelknauf quoll lang und füllig das zusammengebundene Schweifhaar eines Pferdes, und die Stirnplatte aus glatt geschmiedetem Eisen war ebenso wie die Wangenklappen mit dem Helm durch Lederbänder fest verbunden. Es war der weithin auffallende Kopfschutz eines wichtigen Befehlshabers, sorgfältig gearbeitet und sicher von beträchtlichem Wert, und dem dicken Händler wurde etwas bange bei dem Gedanken, mit einem so großen Kämpfer und anscheinend schwerreichen Mann über Wein und Salz zu verhandeln. Der kleine Riwin aber hatte keinerlei Bedenken und rief mit lauter, klarer Stimme nach Arpad, und als sofort darauf eine Lederbahn zurückgeworfen wurde und eine dunkle Gestalt im Eingang des Zeltes erschien, erschrak Hildeger so sehr, daß er einen Schritt rückwärts machte, über eine Holzstange stolperte und mit seinem fetten Hintern auf den Boden plumpste.
Neben Riwin stand in einem leuchtend roten Kleid die dunkelblonde Richlint aus Pitengouua, und das schallende Gelächter der jungen Frau und des kleinen Jungen klang durchdringend in den Ohren des Händlers, der verdutzt auf der Erde saß und sich umschaute. Ein paar braungebrannte, halbnackte Männer schlenderten neugierig herbei, angelockt durch das herzhafte Lachen von Richlint und Riwin, und Hildeger rappelte sich unter den forschenden Augen dieser Krieger schleunigst auf und klopfte den Staub von seinen Kleidern.
„Was macht die ehemalige Haslachbäuerin hier im Ungarnlager unter lauter Männern, die bis vor kurzem noch die Todfeinde der Dorfleute waren,“ dachte er sich verwundert, aber dann begrüßte er Richlint würdevoll und erkundigte sich höflich nach ihrem Wohlergehen. Der Junge und die herumstehenden Ungarn schienen über die Anwesenheit der Frau nicht erstaunt zu sein, wie selbstverständlich und kein bißchen verlegen war sie aus dem Zelt des Anführers getreten, gerade so, als ob das ihr Heim wäre und sie seine Herrin. Freundlich reichte sie dem Händler beide Hände und ermunterte ihn näherzutreten.
„Hildeger, ich freue mich immer, dich zu sehen! Verzeih bitte, daß ich über dich gelacht habe, aber dein verwirrtes Gesicht eben war einfach zu lustig! Du bist sicher gekommen, um mit unseren Verbündeten zu handeln und ihnen Wein und Gewürze zu verkaufen, und ich werde dich mit Arpad, dem Anführer dieser Männer, bekannt machen und ihm sagen, daß du ein alter Freund von mir und meiner Familie bist, und er wird dich nicht übers Ohr hauen, sondern einen angemessenen Preis für deine Waren bezahlen.“
Hinter Richlint war ein Mann aus dem Zelt getreten, gut einen Kopf größer als die übrigen Ungarn im Lager, aber genauso bartlos und von der Sonne verbrannt wie sie. Er trug einen weiten, auffallenden Überwurf aus farbiger
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