Mein Name ist Afra (German Edition)
Richlint noch einmal öffnen und sie alle ins Dorf hereinlassen, vermischten sich mit den Fragen des Torwächters und den Stimmen neugieriger Dorfbewohner, und Hildeger schickte sich an, aus dem Wagen zu steigen und selber für Einlaß zu sorgen, als ihn Richlint erneut fest am Arm packte und zurückhielt. Ihr schönes Gesicht, umrahmt von den Flechten der langen Haare, zeigte sich abweisend und stolz, und doch lag ein Flehen in ihren braungoldenen Augen, als sie den Händler mit leiser Stimme noch einmal eindringlich bat, sie nicht zu verraten.
„Deine Ratschläge brauche ich nicht, Hildeger, denn ich sorge schon selber für mein Heil, aber noch ist nicht die richtige Zeit gekommen, den Dorfleuten meine Verbindung zu Arpad zu offenbaren. Darum bitte ich dich von Herzen, schweige darüber, wo du mich getroffen hast, und ich werde dir meine Dankbarkeit eines Tages reichlich erweisen!“
Einen winzigen Augenblick lang zögerte der kleine Händler, unsicher darüber, ob er für diese junge Frau wirklich lügen sollte, doch dann überzeugte ein Blick in die bittenden Augen sein weiches Herz, und er nickte zustimmend. „Es geht mich ja nichts an, mit wem Richlint im Stroh liegt, was soll ich da Schicksal spielen und mich einmischen!“ dachte er sich, „solange ich meine Waren verkaufe und heil wieder nach Hause gelange, kann es mir gleichgültig sein, was die Pitengouuer treiben!“
Afra
Seit diesem bitter kalten Wintertag im Februar des Jahres 954, als unser Burgvogt Wichard und Rasso, der Mönch vom Amberse, in unserer Stube in Streit geraten und in Unfrieden auseinander gegangen waren, hatte sich das Leben in unserem Dorf vollkommen verändert. Zu den gewohnten Sorgen um Wetter und Ernte, Nahrung und Unterkunft, um das Vieh und seine Krankheiten, die bisher unseren Tag bestimmt hatten, kam nun die Angst vor dem immer bedrohlicher werdenden Krieg und seiner Bedeutung für einfache Bauern wie uns. Wichard hatte recht behalten, denn Graf Roudolf von Altdorf hatte sich dem Herzog von Schwaben angeschlossen, genauso wie der Bruder des Königs, Herzog Heinrich von Baiern, und damit waren auch wir in Pitengouua als Abhängige und Untergebene der hohen Herren an dieser Auseinandersetzung beteiligt. Nicht alle Männer waren mit der Entscheidung unseres Grafen einverstanden, wie ich an den ernsten Gesichtern und den leisen und besorgten Gesprächen von Chuonrad und Leonhard erkennen konnte, und mein Vater Wezilo machte aus seinem Unwillen über diesen Aufstand keinerlei Hehl und schimpfte bei jeder Gelegenheit und vor allen Leuten so laut über Liudolf und seine Anhänger, daß ihn die anderen Männer dringend ermahnten, mit seinen aufrührerischen Reden vorsichtiger zu sein und nicht ein ganzes Dorf wegen solch unbedachter Äußerungen ins Unglück zu stürzen. Wir alle hatten unserem Herrn zu gehorchen und ihm zu folgen, und nicht einmal dem frommen und greisen Altmeier von Pitengouua stand eine abweichende Haltung zu.
Wie froh und glücklich war ich damals, daß mein Mann Leonhard als Vorstand unseres kleinen Weilers nicht selber in den Kampf zu ziehen brauchte, wie so viele freie Bauern und unfreie Knechte aus unserem Gau, die von den Truppen des Pfalzgrafen Arnulf abgeholt und zum Kriegsdienst verpflichtet wurden. Wer Besitzer eines Hofes oder einer Hütte mit Land war, konnte sich durch die Abgabe von Vorräten, eines Pferdes oder Waffen von der Kriegspflicht befreien, aber alle Bauernsöhne ohne eigenes Haus und alle Knechte, deren Arbeitskraft auf den Feldern oder im Dorf vielleicht entbehrlich war, mußten sich den bairischen Truppen anschließen. In Pitengouua blieben nur der Meier, der Schmied, der Müller und einige Knechte für die schwere Arbeit zurück, und daneben die alten und gebrechlichen Männer wie mein Vater Wezilo, alle anderen schlossen sich freiwillig oder gezwungen den Streitkräften des Pfalzgrafen und des Herzogs Heinrich an. Im Haslach stand es ähnlich wie in unserem Dorf, der Hausherr Chuonrad blieb mit wenigen Hörigen in dem kleinen Tal am Fuße des Schnaitbergs und mußte den Kohlenabbau im Weitenschoren und die Flößerei auf der Lecha in diesem Jahr ganz einstellen, weil viel zu wenig Männer für die schwere Arbeit zur Verfügung standen, und sein Bruder Utz, der sich schon vor einem Jahr dem Pfalzgraf Arnulf und seinem Sohn Perchtold angeschlossen hatte und bei der Belagerung von Mantahinga dabei gewesen war, ließ sich höchstens dann kurz in seiner Heimat blicken, wenn er ein
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