Mein Name ist Afra (German Edition)
frisches Pferd brauchte oder mit seinen Heldentaten prahlen wollte. Der Burgvogt Wichard stieß ohne Zögern zu seinem Herrn, dem Welfengraf Roudolf, und er nahm mehrere Knechte und alle gesunden Pferde mit, so daß seine Frau Eilika mit ihren Kindern, der alten Uoda, einigen Mägden und den Hirten der großen Schweineherde schutzlos und unbeweglich auf der nun unbewachten Befestigung auf dem Meierberg zurückblieb.
Als auch noch der Herr vom Dornauer Gut seine Hörigen versammelte und von seiner Frau Liutbirc Abschied nahm, um im Schwabenland zur Mannschaft von Herzog Liudolf zu stoßen, wie es sein Bruder Aistulf schon vor ihm getan hatte, da schlich sich die Angst um meine Kinder und um unsere Heimat wie kaltes Eis in mein Herz, denn es blieben kaum noch genügend wehrhafte Männer in unserem Gau zurück, um Frauen und Kinder, Hof und Vieh, Ernte und Vorräte gegen die Einfälle der ungarischen Barbaren zu verteidigen. Angeblich waren die Reiterkrieger nun unsere Verbündeten und würden uns verschonen, aber nicht für die Dauer des Flügelschlags einer Taube glaubte ich an die Aufrichtigkeit und Treue dieser Barbaren, und inbrünstig beteten die Frauen des Dorfes und mein alter Vater und ich, wie in all den vergangenen Jahren, jeden Sonntag auf unseren Knien in der kleinen Kirche des Dorfes. „Vor den Pfeilen der Ungarn errette uns, o Herr!“, das war unser aller Gebet, und es kam tief aus unseren Herzen.
Was den Menschen in Pitengouua in diesem Frühjahr und Sommer blieb, das war die Arbeit. Unsere Zugochsen hatten wir zusammen mit den drei Pferden und vielen Vorräten abgeben müssen, und nun galt es, mit zwei Maultieren und einer trächtigen Stute und den wenigen verbliebenen Händen die Felder zu bestellen, das Vieh zu versorgen und die Ernte einzubringen. Meinen Mann Leonhard sah ich in diesen Monaten nur noch spät am Abend, wenn er nach Einbruch der Dunkelheit todmüde und hungrig wie ein Wolf im Winter vom Eggen und Säen, vom Pflügen und Zäune richten, vom Holzfällen und Roden in die Stube kam und viel zu erschöpft war, um noch mit den Kindern zu scherzen oder mit mir über ein Anliegen zu sprechen. Die jungen und starken Mägde nahmen die Männer schon frühmorgens als Hilfskräfte mit auf die Felder oder in den Wald, sie ersetzten mit vereinter Kraft einen Ochsen, wenn es galt, den hölzernen Pflug durch die tiefen Ackerfurchen zu ziehen, oder sie lockerten mit der eisenbeschlagenen Hacke den Boden für das kostbare Saatgut und brachten den Männern Pfähle und Weidenruten und Werkzeug, um die Zäune auszubessern und das Vieh in seinen Grenzen zu halten. Im Dorf blieben tagsüber nur die Alten und Schwachen, die kleinen Kinder und Richlint und ich, denn nichts auf der Erde war so wichtig wie eine gute Ernte und wohlgenährtes Vieh, davon hing das Überleben aller Menschen im Dorf ab, und alles andere mußte dahinter zurückstehen. Es gab keine freie Zeit mehr für das Weben von Stoffen, für die Schnitzereien von Leonhard, für das Besuchen von Nachbarn und Freunden, für Richlint´s Färberei und für den Markt in Murnowe, und selbst die Kinder hatten Aufgaben zu erfüllen und wenig Zeit für ihre Spiele.
Mein blondlockiger Sohn Agilolf war noch zu klein, um wirklich von Nutzen zu sein, und so ließ ich ihn tagsüber unter der Aufsicht des alten Wezilo auf dem Hofplatz zurück, um das Federvieh vom Haus fernzuhalten. Mit bloßen Füßen und in einem schlichten, graubraunen Kittel sprang mein Bub den ganzen Tag von einem Ende des Schopfs zum anderen und verjagte mit einem Haselstecken in der kleinen Faust, an dem noch ein Bündel grüner Blätter hing, und mit lautem Geschrei die aufdringlichen Hühner und Enten, Gänse und Wachteln von den Stufen des Hauses, und er nahm mit seinen drei Jahren die ihm gestellte Aufgabe so ernst, daß er sich nur selten zu seinem Großvater in den Schatten hockte und ein wenig schlief. Einmal zwickte ihn eine der großen, weißen Gänse fest in seine strammen Waden, weil er ihr mit seinem Stecken zu nahe gekommen war, und von seinem Gebrüll erschreckt kam ich eilig aus dem Grubenkeller gelaufen, um meinen Sohn zu retten. Als aber seine Tränen getrocknet und die winzige Wunde am Bein mit Brunnenwasser gekühlt waren, mußte ich ihm nur noch fest versprechen, dem bösen Vogel am nächsten Feiertag den Hals lang zu ziehen und ihm seine weißen Federn für den Bratrost auszurupfen, und da zog er getröstet ab, den Haselzweig im Staub hinter sich herziehend.
Von
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