Mein Name ist Afra (German Edition)
fort. „Wichard war so aufgebracht, daß er sie am Arm hochgerissen und blindwütig auf sie eingeschlagen hat. Sie hat nichts getan, den ganzen Tag, weißt du, nichts gesammelt, nicht die kleinste Moosbeere! Und dann mußten wir sie auch noch suchen, weil sie nicht von selber zurückgekommen ist, und deshalb sind wir so spät wieder im Dorf und fast in die Dunkelheit geraten. Aber Wiggo hat seine Wut bedauert, glaube ich, auf dem Heimweg war er ganz still und hat kein Wort mehr gesprochen.“
Folchaid hatte sich den Bericht ihres Sohnes ganz ruhig angehört und dabei Richlint´s Gesicht gewaschen, und jetzt bat sie die alte Magd, ihr von den Schafpferchen ein paar frische Wegerichblätter zum Auflegen auf die Wunde zu holen, denn dort wuchs die Heilpflanze üppig. Kaum hatte die Alte die Hütte verlassen, drehte sich Folchaid herum, und in ihrem feinen Gesicht lag ein Ausdruck, wie ich ihn noch nie gesehen hatte, ein tiefer, stummer Schmerz in den Augen wie bei einem schwer verletzten Tier. Die Worte brachen mit einer solchen Gewalt aus ihr heraus, daß wir alle, sogar der kleine Eticho, sie nur regungslos anstarrten.
„Ihr! Ihr alle! Habt ihr immer noch nicht verstanden, daß wir Sklaven sind in diesem Dorf, nichts als Dreck unter den Füßen der Herren! Wir müssen uns ducken, unsere Arbeit tun und nicht klagen über unser Leben, das sowieso nichts wert ist in den Augen der Reichen! Du, Richlint, und du vielleicht auch, Rasso, ihr meint wohl, weil der Graf Eticho aus Altdorf euer Vater ist, könnt ihr euch Freiheiten herausnehmen, die andere von Geburt an haben, Zeit vergeuden und spielen und nichts arbeiten! Ihr habt keine Knechte und Mägde, die für euch Brot und Bier und Wolle herbeischaffen, ihr seid selber Dienstboten, werdet nach nichts gefragt, euch wird befohlen.“
Folchaid´s Stimme brach ab, erschöpft ließ sie sich auf die Herdbank sinken. Leise fuhr sie fort, die Hände in ihrem Schoß ständig reibend vor Anspannung, den Blick jetzt mit Mitleid auf die zitternde Richlint gerichtet. „Du mußt das tun, was man dir aufgetragen hat, Richlint. Du darfst nicht irgendwo träumen und den Tag verstreichen lassen, Wichard war im Recht, dich zu bestrafen. Dich so hart zu schlagen, das hätte er nicht zu tun brauchen, das hätte er bei einer anderen auch nicht getan! Aber uns, mich und meine Kinder, uns hassen sie besonders, weil wir mit Eticho zusammen sind, und weil sie nicht wissen, ob ich nicht doch eines Tages seine Frau sein werde, und damit ihre Herrin. Aber diesen Traum habe ich noch nie wirklich geträumt, denn nie ist in meinem Leben das eingetreten, was ich mir erhofft habe!“ Folchaid sprach jetzt voll Bitterkeit. „Schön war ich, das schönste Mädchen im ganzen Gau, doch heute spucke ich auf diese Schönheit, denn sie hat mir nichts als Kummer gebracht! Ich bin nicht gefragt worden von Eticho, ob ich seine Friedelfrau werden will, er hat mich einfach genommen! Lieber wäre ich häßlich, und hätte einen Mann wie die anderen, einen, der jeden Abend in meine Hütte zurückkommt und dessen Kinder ich mich nicht zu schämen brauche.“
Es war ganz still im Raum nach den harten Worten von Folchaid, und als sie nach einer langen Weile wieder zu sprechen begann, war ihre Stimme nur noch müde, aber so sanft, wie wir es von ihr kannten, und sie legte ihren Arm um Richlint und drückte sie fest an sich. „Nein, ich schäme mich nicht für euch. Ihr seid meine Kinder, und ganz gleich, wer euer Vater ist, ich liebe euch mehr als mein Leben. Nur bewahren, behüten will ich euch vor all dem Kummer, den ich erlitten habe. Es ist besser für euch, wenn ihr wißt, wo euer Platz im Dorf ist, wenn ihr keine Hoffnungen in diesem Leben habt, die doch nie in Erfüllung gehen. Ihr seid unfrei, Hörige in Pitengouua, und das werdet ihr bleiben, ihr und auch eure Kinder, genauso wie ich und meine Mutter vor mir.“
Rasso reckte seinen schmalen Jungenkörper hoch und antwortete trotzig: „Dann geh´ich eben weg von hier, und werde in einem anderen Gau ein freier Mann, wer für den Herzog tapfer kämpft, dem stehen alle Wege offen!“ Folchaid mußte über den Eifer ihres Sohnes lächeln, sie stand auf und ging zu ihm hin, um ihn in den Arm zu nehmen. „Du hast ja noch nicht einmal ein Pferd, um in den Kampf zu ziehen, Rasso, bleib´ doch noch eine Weile bei uns und behüte deine Mutter und deine Geschwister!“
Die Tür ging auf, und die alte Magd kam mit einigen Wegerichblättern zurück, die Folchaid
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