Mein Name ist Afra (German Edition)
kurz mit Wasser abspülte und dann fest auf die Wunde auf Richlint´s Stirn drückte. Erst jetzt schien sie zu bemerken, daß ich immer noch stumm auf der Herdbank hockte, ganz benommen von all dem, was ich eben gehört hatte. „Geh´ nach Hause, Afra,“ sagte Folchaid leise zu mir, „du hättest das alles gar nicht zu hören brauchen, dich betrifft es nicht, du bist ja eine freie Frau, eine Meiertochter noch dazu! Du wirst in deinem Leben einen ganz anderen Weg gehen als Richlint, aber deshalb könnt ihr euch doch morgen wieder treffen und den Tag zusammen verbringen, noch seid ihr ja bloß Kinder. Geh´ heim zum Meierhof, Afra, und Gott mit dir!“
Schweigend stand ich auf, drückte noch kurz Richlint´s Arm, warf einen Blick auf Rasso, der unschlüssig dastand, auf seiner Unterlippe herumkaute und mich gar nicht beachtete, und dann ging ich hinaus, die Türe leise hinter mir schließend. Der Weg nach Hause durchs Dorf war nicht weit, und im Meierhof angekommen, wo schon nächtliche Ruhe herrschte, schlüpfte ich neben Walburc, die bereits schlief, auf unsere gemeinsame Bettstatt, zog die wollene Decke über mich und wollte in Ruhe nachdenken über alles Befremdliche, das sich heute ereignet hatte. Doch der Tag war anstrengend gewesen, gegen die Müdigkeit meines Körpers konnten sich meine Gedanken nicht wehren, und ich glitt in einen unruhigen Schlaf mit wirren Träumen, in denen der grimmige Sigiboto Richlint und mich zu Pferd verfolgte und Folchaid so sehr und so viel weinte, daß sie in einem See von Tränen unterging und nur noch ihre verzweifelten, sich ringenden Hände aus dem Wasser herausschauten.
Ω
Das dürre braune Pferd, eingespannt vor einen hölzernen Wagen, der hoch mit trockenen, schwarzen Torfwäsen beladen war, ließ müde den Kopf hängen und schnaubte. Nur noch zwei Männer standen beim Wagen auf dem Dorfplatz unter der großen Linde, alle anderen, die heute im Süßen Flecken beim Torfstechen und Wäsen aufbocken und Beerensammeln dabei gewesen waren, saßen längst in ihren Häusern und Hütten bei der Abendmahlzeit oder lagen schon auf der Bettstatt. Gelber Rauch drang aus den Strohdächern der Häuser in den Abendhimmel hinauf, und eine bunte Katze huschte lautlos über den Weg und verschwand im Loch einer Stallwand. Es war sehr still in Pitengouua, die Arbeit des Tages war getan und keiner war mehr draußen, denn die Menschen fürchteten sich bei Anbruch der Finsternis unter freiem Himmel, vor Feinden, wilden Tieren, Geistern und verlorenen Seelen, und jeder vernünftige Mensch blieb während der dunklen Nacht lieber in der Sicherheit seiner Hütte.
Ohne Worte, nur mit einer müden Bewegung seiner Hand bedeutete Wichard dem Knecht, der neben dem Pferd stand, daß sie aufbrechen wollten, und Berno packte das träge Roß am Halfter und schnalzte aufmunternd mit der Zunge, bis das erschöpfte Tier gemächlich anzog und der Wagen langsam zu rollen begann. Wenn sie sich beeilten, konnten sie es mit dem letzten Licht der Sonne, die bereits hinter dem breiten Rücken des Meierbergs untergegangen war, gerade noch schaffen, vor Einbruch der völligen Dunkelheit in der Burg zu sein.
Ihr Weg führte ein Stück die Pitenach entlang, an der Schmiede mit dem hölzernen Notstand zum Beschlagen widerspenstiger Tiere vorbei, beim daneben liegenden Meierhof durch die breite Furt des Baches hinauf zum Friedhof mit seinen hölzernen Grabkreuzen, der rund um die Kirche des Weilers angelegt war. Beim Durchqueren der Grabstätten murmelte Wichard ein kurzes Gebet, und der Knecht Berno schlug das Kreuzzeichen auf der Stirn und dann zur Sicherheit noch seine Finger schräg übereinander in einer alten, heidnischen Geste, aber heimlich, damit Wichard es nicht bemerkte, denn solcher Aberglaube wurde nicht gern gesehen in einer christlichen Gemeinde. Früher gab man den Toten ihr Hab und Gut, Waffen, Schmuck und manchmal sogar ihr Leibpferd mit ins Grab, damit sie im nächsten Leben zufrieden waren, ihren Rang ausfüllen konnten und keinen Grund hatten, auf die Erde zurückzukehren und ihre Nachkommen heimzusuchen, aber seit es nur noch christliche Bestattungen ohne Beigaben neben der Kirche und keine mehr draußen vor dem Dorf auf dem uralten Gräberfeld der Ahnen gab, waren sich viele Leute nicht mehr so sicher, daß den Toten gerecht getan wurde und sie die Lebenden in Frieden ließen. Deshalb konnte ein Schutzzauber nicht schaden und tat ja auch niemandem weh, aber Berno wollte seine
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