Mein Name ist Afra (German Edition)
der Schweine, die den Tod schon lange vorher rochen und genau spürten, was auf sie zukam, und dem fürchterlichen Gestank der Eingeweide und des vielen Bluts wurde mir immer schlecht.
Als Wezilo jetzt sah, daß es seiner Mutter schlechter ging und sie wieder und wieder über ein böses Gewächs in ihrem Bauch klagte, das ihr die Atemluft nahm und schlimme Schmerzen bereitete, sattelte er sich seinen Schecken, trotz der vielen Arbeit, die nicht lange aufgeschoben werden konnte, weil sonst das Fleisch schlecht wurde, und machte sich auf den Weg Richtung Weinland, um Justina zu holen. Justina galt als Hebamme und Heilerin viel in Pitengouua, denn sie hatte schon einigen Menschen und Tieren mit Salben, Tinkturen und Kräutersud geholfen und sie wieder ganz gesund gemacht, aber trotz diesem Können und ihrer eigentlich ruhigen, bescheidenen Art war sie vielen nicht ganz geheuer. Ihr fremdartiges, braunes Gesicht mit den dicken, pechschwarzen Locken, die offen fast bis zum Boden herabfielen, und ihre Herkunft als Tochter einer italischen Sklavin, die vom damaligen Herrn des römischen Gutshofs, der wahrscheinlich auch Justina´s Vater war, von einer langen Pilgerreise nach Rom mitgebracht wurde, machte die Leute in unserer Gegend mißtrauisch, denn sie war anders als wir. Ihre Mutter hatte in den paar Jahren, die sie im Gau lebte, unsere Sprache nicht gelernt, so daß keiner sich richtig mit ihr unterhalten konnte und man wenig über sie und ihre Heimat wußte, und Justina war nicht besonders redselig, sondern lebte, nachdem ihr Herr von einer Pilgerfahrt nach Spanien nicht zurückgekommen war, allein mit ihren Tieren draußen auf dem halbverfallenen römischen Hof und ging den meisten Menschen aus dem Weg. Im Dorf wurde gemunkelt, daß sie eine Heidin sei, weil sie angeblich mit Tieren sprach und sie nach deren Tod sogar ehrfurchtsvoll wie Menschen begrub, und Richlint und ich, die wir mehr darüber wußten als die anderen, hüteten aus gutem Grund unsere Zungen und redeten so gut wie nie über Justina.
Als sie die warme Stube betrat, nahm sie sofort den groben Umhang ab, den sie bis über ihren Kopf gezogen hatte, vom schnellen Ritt auf dem Rücken des Schecken, angeklammert an Wezilo´s breiten Leib, war ihr trotz der kalten Luft draußen heiß geworden. Justina liebte Pferde, aber das Reiten war sie nicht gewohnt, weil sie alle ihre vielen Wege zu Fuß zurücklegte, ihr braunes Gesicht wirkte jetzt noch dunkler als sonst, erhitzt wie sie war, und einige schwarze Locken, die sich aus dem dicken Haarknoten in ihrem Nacken gelöst hatten, klebten auf der schweißnassen Stirn. Rautgund, die bei der Ankunft ihres Mannes mit Justina hereingekommen war, betrachtete mit Mißtrauen in den Augen die kleine, feste Gestalt, die sich aber um niemand sonst im Haus bekümmerte, sondern sogleich ans Krankenbett eilte und mit leiser, aber sehr klarer Stimme Ella nach ihren Beschwerden ausfragte. Nachdem sie alle nötigen Antworten erhalten hatte, begann Justina, unsere Großmutter zu untersuchen, sie tastete behutsam ihren Bauch ab, befühlte Hände, Stirn und Füße, und dann roch sie am Nachthemd und an der Decke, die Ella wärmen sollte.
„Du weißt es wohl selber, Ella,“ sagte Justina ganz ruhig, und sie setzte sich neben die Kranke aufs Bett und sah ihr in die Augen.„Ich kann nicht mehr viel für dich tun, und es wird besser sein, bald nach dem Priester zu schicken, damit du in Frieden mit dir selbst sterben kannst“ Wezilo stöhnte auf, als er diese endgültigen Worte hörte, nach dem frühen Tod seines Vaters hing er an der Mutter um so mehr. Justina holte aus dem ledernen Sack, den sie immer bei sich trug, mehrere kleine Beutel aus Leinen und mischte die getrockneten Kräuter, die sie darin aufbewahrte, in einer Tonschale. Dann gab sie die Schale mir. „Afra, diese Kräutermischung wird deiner Großmutter die Schmerzen erträglicher machen. Brüh´ sie mit heißem Wasser auf und gib´ sie ihr nach und nach zu trinken, es wird ihr gut tun!“ Mit diesen Worten stand sie auf, schlug ihren Umhang wieder über den Kopf, schulterte ihren alten Sack, und genauso still und leise, wie sie das Haus betreten hatte, verließ sie es wieder und machte sich zu Fuß auf den Heimweg.
Noch am gleichen Tag kam der Priester zu Ella, und gestärkt von Justina´s Kräutern konnte sie die letzte Beichte ablegen und wurde mit heiligem Öl gesalbt, und so starb sie friedlich und ohne Schmerzen in der darauffolgenden Nacht. Wir begruben sie
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