Mein Name ist Afra (German Edition)
neben ihrem Mann Rumpold, mit den besten Sachen gekleidet, die sie besaß, in einem Sarg aus dicken Eichenbrettern, an Ecken und Kanten mit Eisen verstärkt, und auf dem hölzernen Deckel war ein großes, kunstvolles Kreuz eingeschnitzt. Der Tag der Beerdigung war auch der Tag des Allerheiligenfestes, und die ganze Bevölkerung von Pitengouua drängte sich in der kleinen Holzkirche zusammen. Auch die Leute von der Burg waren gekommen, Wicpert, Uoda, Wichard und Liutbirc standen, ihrem Rang entsprechend, in der ersten Reihe, gleich beim Altar, der an diesem Gedenktag zu Ehren aller Heiligen der Christenheit mit dem schönsten Altartuch und zwei kostbaren, mit Gold beschlagenen Leuchtern geschmückt war. Nach der Messe, die sehr lange dauerte, weil alle Heiligen aufgezählt und um Fürbitte gebeten wurden, verabschiedeten wir uns von Ella, sie wurde als Mitglied der Meierfamilie direkt an der Kirchenwand auf dem Friedhof bestattet.
Die ganze Zeit, während einer nach dem anderen am offenen Grab meiner Großmutter die letzte Ehre erwies, liefen mir die Tränen übers Gesicht, aus Trauer über den Tod von Ella und aus schlechtem Gewissen wegen meiner eigennützigen Gedanken während ihrer Krankheit. Richlint, deren Platz als Unfreie weit hinten war, hinter den Burgleuten, der Meierfamilie, den Haslachbauern und all den anderen freien Bauern und Handwerkern, sah mich weinen, und sie kam nach vorne und hielt meine Hand, um mich zu trösten. Niemand störte sich daran, nur Liutbirc konnte auch in diesem Augenblick der tiefen Trauer ihren bösen Mund nicht halten, und sie sagte laut etwas über Leibeigene und den Platz, den sie gefälligst einzuhalten hatten. Daraufhin ging Richlint mit gesenktem Kopf zu ihrer Familie zurück, rote Flecken brannten auf ihren Wangen und alle Leute sahen sie an, und ich war innerlich so wütend auf Liutbirc, daß ich aufhörte mit Weinen und nur noch darüber nachdachte, was ich diesem eingebildeten Mädchen antun könnte, damit sie auch einmal Grund zum Trauern hatte.
Wenn ich jetzt an diesen langen Winterabenden beim endlosen Spinnen darüber nachdachte, dann fiel mir auf, daß Liutbirc nicht nur ins Dorf herunterkam, um mit Walburc beisammen zu sein, sondern ihr Handeln und Reden in der letzten Zeit darauf ausgerichtet war, Richlint zu schaden und sie auch in den Augen der anderen Bewohner von Pitengouua herabzusetzen. Warum sie Richlint, die ihr doch nie etwas getan hatte, allerdings so wenig leiden mochte, das verstand ich damals noch nicht, denn Neid, Ehrgeiz und Standesdünkel waren mir fremd.
Wir waren einfach abgehauen an diesem Sonntagmorgen, Richlint und ich, nach dem Kirchgang in der Frühe waren wir zu Justina geflüchtet, und niemand hatten wir darüber Bescheid gesagt, denn am Sonntag wurde nicht gearbeitet, weil es der Tag Gottes war, und nach der Heiligen Messe in der Dorfkirche würde uns wohl keiner mehr vermissen. Der schmale Trampelpfad zu Justina´s Wohnstätte führte ein Stück die Pitenach entlang, Richtung Süden auf die schneebedeckten Gebirge zu, und dann durch eine Furt nach Westen, ins Weinland, so nannten wir dort die Flur, denn an den sanften Ausläufern des Meierbergs, die nach Südwesten lagen, wurde in früheren, römischen Zeiten Weinbau betrieben. Der Bach führte jetzt im Frühling Hochwasser, denn die Schneereste des Winters schmolzen dahin, und im gelben Wasser trieben Äste und Blattwerk, manchmal sogar ganze Bäume, die zu nahe am Ufer gestanden hatten und nun durch die Kraft des Wassers und die wilden Frühjahrsstürme entwurzelt und mitgenommen wurden. Wenn sich so ein Baumstamm am Ufer verkeilte und Blätter und Zweige sich darin verfingen, staute sich ganz schnell das gurgelnde Schmelzwasser und es entstanden kleine Seen, die den alten Weg überfluteten, so daß wir ausweichen und uns mühsam durch Sträucher und Buschwerk kletternd einen neuen Pfad suchen mußten.
Die letzten Tage im Dorf waren einfach fürchterlich gewesen, und als ich jetzt neben der schweigenden Richlint die rauschende Pitenach entlang zum welschen Hof lief, gingen mir die Ereignisse des vergangenen Winters nicht mehr aus dem Kopf, die wohl noch mehr zum Haß der Burgleute auf Folchaid und ihre Familie beigetragen hatten. Drei Tage vor Weihnacht war neues Leben in Pitengouua eingekehrt, denn Folchaid hatte ihr viertes Kind geboren, wieder ein Knabe, und mit der Hilfe von Justina verlief die Geburt ohne Schwierigkeiten. Der kleine Bub war ein kräftiges und schönes
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