Mein Name ist Afra (German Edition)
Kind, und als wenige Zeit später trotz der rauhen Witterung, die weite Reisen zu dieser Jahreszeit kaum erlaubte, der Welfengraf Eticho mit zwei Gefolgsmännern im Dorf eintraf, war die ganze Familie so glücklich, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte. Die Freude des Vaters über das gesunde Kind war groß, und als Eticho seinem jüngsten Sohn den Namen seines Vaters und Bruders, Roudolf, gab, werteten wir alle in Pitengouua das als Zeichen dafür, daß sich nun für Folchaid und ihre Kinder alles zum Guten wenden würde und Eticho sie endlich rechtmäßig heiraten konnte. Der Graf zog für einige Zeit mit seiner Familie in die Burganlage auf dem Meierberg, und Wicpert mußte mit Uoda und Liutbirc das Haupthaus für seinen Herrn räumen und bei Wichard und den Knechten und Mägden Unterschlupf finden, was natürlich ohne jeden Widerspruch geschah, obwohl es ihnen sicher nicht recht war.
Von Richlint erfuhr ich alles über die paar Wochen auf der Burg, es war meiner Freundin so gut gegangen wie lange vorher nicht, und als sie nach Eticho´s Abreise alle wieder nach unten ins Dorf gezogen waren, erzählte sie mir jeden Tag mit Begeisterung und in allen Einzelheiten von der schönen Zeit mit ihrem Vater. Eticho, der seine eigenen Kinder ja kaum kannte, weil er nicht mit ihnen zusammen lebte und auch nicht oft in Pitengouua war, hatte sich sehr um sie bemüht und viel Zeit mit ihnen verbracht, und schon bald verloren die Geschwister ihre Scheu vor dem fremden, vornehmen Vater und waren gern mit ihm zusammen.
Rasso sah dem Grafen sehr ähnlich, und wenn die beiden mit der lebhaften Hundemeute und den edlen, braungefiederten Jagdfalken in die Wälder ritten, um Fasane und Rebhühner, Rothirsche und sogar Bären zu erlegen, erkannte auch ein Fremder in ihnen sogleich Vater und Sohn. Beide waren sehr groß und schlank und saßen sicher zu Pferde, und wenn Eticho im Burghof mit dem Sohn den Schwertkampf oder das genaue Zielen mit Pfeil und Bogen übte, beugten sich zwei gleiche dunkle Köpfe mit dichten, welligen Haaren über die Waffen, und bei beiden grub sich vor Eifer und Anstrengung über der langen, schmalen Nase eine steile Falte in die hohe Stirn. Rasso bewunderte seinen Vater, und Eticho war für ihn so sehr Vorbild in allen männlichen Tugenden, daß die übermütige Richlint ihn des öfteren wegen seinem Eifer neckte, Rasso mit „edler Herr“ ansprach und ihm für die Zukunft spaßeshalber große Taten als wilder Krieger und tapferem Held der Christenheit ausmalte.
Für den kleinen blondlockigen Eticho, dessen Vorbild der große Bruder war, und der ihm ständig wie ein Schatten auf seinen kurzen, stämmigen Beinchen hinterher stapfte, hatte Rasso ein kleines Spielzeugschwert aus Holz gemacht, und das zog der Bub den ganzen Tag hinter sich her oder fuchtelte damit wild in der Luft herum, ganz wie die Großen. Am Abend saß die Familie zusammen im großen Wohnraum des Burghauses, beim sanften Licht der Kerzen und Kienspäne an den Wänden erzählte Eticho von seinem täglichen Leben in Altdorf, von den Schlachten, in denen er gekämpft hatte und von Jagden, die reiche Beute gebracht hatten. Die Kinder hingen an seinen Lippen, wenn er ihnen ihre Zukunft ausmalte, und Rasso sah sich schon als unerschrockenen, starken Kämpfer für einen gerechten Herzog, und Richlint träumte von der versprochenen Heirat mit einem guten, vornehmen Mann, der sie zur Mutter seiner Kinder und zur Herrin des eigenen Hauses machen würde. Sogar Folchaid war wieder guten Mutes, auf der Burg brauchte sie nichts zu arbeiten, sich nur um den Säugling kümmern, das Essen wurde für sie zubereitet und gebracht, und sowohl Uoda wie Liutbirc gaben sich viel Mühe, Folchaid zu unterhalten und ihr gefällig zu sein. Die beiden Frauen, die den ganzen Tag mit Folchaid und Richlint zusammen saßen, wenn die Männer unterwegs waren, ließen sich nicht anmerken, wie sehr sie die Unfreie verachteten und um ihren eigenen Platz bangten, sie waren ständig liebevoll besorgt um Folchaid und den Säugling Roudolf, und Liutbirc zeigte Richlint ihre schönen Gewänder und spielte mit ihr Wurfzabel, als wenn sie schon immer ihre Freundin gewesen wäre.
An einem schönen Wintertag war Eticho mit Folchaid hinter sich auf seinem temperamentvollen Rappen auf den hohen Schneckenbichl geritten, wo ein alter steinerner Wachturm stand und man einen freien Ausblick von der Dornau bis zum Aurberg hatte, über den ganzen Lechafluß, über Pitengouua bis zum mächtigen
Weitere Kostenlose Bücher