Mein Name ist Afra (German Edition)
Richlint und ich mehrere mit Tüchern bedeckte Gestalten am Boden liegen und neben einer von ihnen kniete Rasso und schluchzte laut. Mein Vater ging auf die liegenden Menschen zu und zog die Leintücher weg, und ich sah Folchaid mit toten, braunen Augen verwundert in den Himmel starren, um ihr schönes, blasses Gesicht hing das lange Haar in mit schwarzem Blut verklebten Strähnen, ihr Gewand war vorne völlig zerrissen und die weißen, weichen Brüste unschuldig und unbedeckt allen Blicken ausgesetzt. Ihr kleiner Sohn Eticho lag mit eingeschlagenem Schädel neben ihr, das Gesichtchen auf seltsame Art verzerrt und schief, und Richlint sank ohne einen Laut neben ihrer Mutter auf den Boden und schlang die Arme um die Tote. Ich aber ging weiter, von Körper zu Körper, immer meinem Vater nach, und ich sah Hilde mit ihren Kindern tot liegen und die junge Agnes und Haimeran, meinen lieben, alten Haimeran in seinem Blut.
Meine Kehle war trocken und rauh, und ich konnte nicht mehr schlucken vor Angst, denn an den leeren Augen der Menschen und der Art, wie sie meinem Vater und mir auswichen und bei der letzten Gestalt Platz machten, erkannte ich, wer dort lag, und wollte es doch nicht wahrhaben. Meine Mutter lag auf der Erde, als ob sie schlafen würde, leicht gekrümmt und mit angezogenen Beinen, und erst als Wezilo sie in die Arme und auf seinen Schoß nahm, sah ich das getrocknete Blut im Staub und das tiefe Loch in ihrem Hinterkopf. Ich fiel auf die Knie neben meinen Eltern und faßte nach den lose herabhängenden, kalten Händen von Rautgund, streichelte und bewegte sie unaufhörlich, als ob ich so das Leben wieder in sie hineinzwingen und sie lebendig machen könnte, stark und kräftig für Walburc und mich, ihre Kinder, für ihren Ehemann Wezilo, für uns alle im Dorf, die wir sie doch so nötig brauchten. Doch als ich in das Gesicht meines Vaters schaute, wußte ich, daß alles Beten und Flehen vergebens war, denn mein starker, unerschütterlicher Vater weinte wie ein kleines Kind, und die Tränen strömten aus seinen Augen in den struppigen Bart und tropften von dort auf das stille, blutleere Antlitz meiner Mutter. Sie war tot.
Nach dem ersten Tag der tiefen Trauer wollte Wezilo von den verantwortlichen Männern, allen voran dem Burgvogt, genau erfahren, wie es zu diesem Überfall auf die Frauen und Kinder gekommen war. Rasso und Wichard waren zu spät gekommen, denn schon während wir im Klosterhof gefeiert und beim Essen die Nachricht des Jungen aus Burin erfahren hatten, war Pitengouua überfallen worden. Der Wächter auf dem Turm des Burgwalls hatte als erster in einer Staubwolke die ungarischen Reiter aufs Dorf zukommen sehen und sofort mit seinem Horn einen Warnruf gegeben, und alle strömten auf die Burg in Sicherheit. Einige Männer trieben das Vieh auf den Berg in die Umzäunung, und ein paar andere ritten hinunter zum Doswald, wo die Schweinehirten mit der großen Herde weideten, und als es endlich jemand auffiel, daß Rautgund und Folchaid mit einigen Mägden fehlten, war von den Männern nur noch der alte Haimeran da. Die Frauen waren auf einer Wiese etwas abseits vom Dorf beim Stutzen der Obstbäume und hatten den Hornruf des Turmwächters nicht gehört, und Uoda befahl dem treuen Knecht, hinunter zulaufen und die Frauen zu holen.
Der ungarische Reitertrupp bestand aus ungefähr fünfzig Männern, die wohl vom großen Heer losgeschickt worden waren, um in den Dörfern zu plündern und Fleisch, Getreide und Wein zu besorgen, denn die Ungarn führten auf ihren Kriegszügen keine schweren Wagen mit Vorräten mit, sondern nahmen sich beim einfachen Bauernvolk mit Gewalt, was sie brauchten. Als sie unser Dorf verlassen fanden, begannen sie sofort, nach Eßbarem zu suchen, und nachdem sie sich genügend Beute auf den Rücken ihrer Pferde geladen hatten, steckten sie die Vorratshäuser und Grubenkeller in Brand, rissen die Pfähle und Pfosten der Getreidespeicher um und zündeten die nun zusammengefallenen Hütten mitsamt unseren Vorräten für einen langen Winter an.
Die Frauen auf der Obstwiese hatten vermutlich den Lärm gehört und auch den schwarzen Rauch bemerkt, der vom Dorf aufstieg, aber an einen Überfall dachten sie wohl nicht, denn sie liefen eilig nach Hause und den Ungarn direkt in die Arme. Vielleicht hätten die wilden Reiter es bei einigen derben Scherzen gut sein lassen, wenn sie nur ein paar alte Weiber getroffen hätten, denn sie waren ja auf eßbare Beute aus und erst am Anfang
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