Mein Name ist Afra (German Edition)
eines Kriegszuges, aber als sie die schöne Folchaid und die junge Agnes erblickten, wollten sie die beiden Frauen gefangennehmen und zu ihrem Heer mitschleppen. Folchaid wehrte sich mit aller Gewalt, denn sie wollte nie wieder die Sklavin eines Mannes sein, aber die Barbaren rissen ihr den Säugling aus den Armen und erschlugen ihn vor ihren Augen, zerfetzten ihr Kleid und griffen mit gierigen Fäusten nach ihrem nackten Körper. Rautgund wollte Folchaid zu Hilfe kommen, nur mit ihren bloßen Händen, und sie stießen meine Mutter so hart zur Seite, daß sie mit dem Hinterkopf auf einen Stein fiel und sofort tot war. Haimeran kam völlig außer Atem ins Dorf, und er ging ungeachtet der Überzahl der wilden Männer mit seinem Jagdmesser auf sie los, als er sah, daß sie Agnes und Folchaid wegschleppen wollten und Rautgund leblos dalag. Aber mit dem alten Mann hatten die ungarischen Krieger ein leichtes Spiel, sie erschlugen ihn mit ihren eisernen Schwertern, und als Agnes und Folchaid nicht aufhörten, zu beißen und zu kratzen und sich zu wehren, verloren die Männer die Lust an ihnen und hatten wohl auch Angst, daß vielleicht noch andere zur Befreiung der Frauen kommen würden, stärkere und jüngere Männer als der alte Haimeran; und sie schnitten den beiden Frauen die Kehle durch und ließen sie in ihrem Blut liegen, erschlugen wie im Rausch die schreiende Hilde samt ihren Kindern und ritten mit der Beute auf den Pferderücken davon.
Die folgenden Tage im Dorf erlebte ich wie in einem Traum, der mich festhielt und nicht erwachen ließ, und ich redete und handelte und war doch gar nicht da. Zusammen mit Justina und Walburc, die unaufhörlich schluchzte, und den anderen Frauen aus Pitengouua bereitete ich das Begräbnis vor, und wir wuschen die Toten sorgfältig und mit Liebe, kleideten sie in ihre besten Gewänder und legten sie in die Särge, die der Tischler nur mit der Hilfe von anderen Männern so schnell hatte fertigen können. Folchaid gaben wir ihren Säugling Roudolf in den Arm, und der dicken Hilde, die im Tod so sanft und lieblich aussah, ihre beiden Kinder. Für Agnes, die mit meiner Mutter gestorben und nur eine arme, unfreie Magd war und nichts besaß, gab ich meinen schönen blaugefärbten Wollumhang her, und so war sie im Tode besser gekleidet als in ihrem ganzen Leben. In Haimeran´s Sarg legte ich sein geliebtes Werkzeug, mit dem er jeden Tag gearbeitet hatte, und für unsere Mutter heftete Walburc ein dünnes, goldenes Kreuz auf ein weißes Leinentuch, als das Zeichen einer guten Christin, und damit bedeckten wir ihr Gesicht und nahmen Abschied.
Ω
Jugend 944 - 945
Ein leuchtender, tiefblauer Himmel, hier und da mit flockigen, schneeweißen Wolken durchsetzt, wölbte sich an diesem warmen Herbsttag über dem kleinen Dorf Pitengouua an der Pitenach. Die Luft war so klar und rein, daß man von dem niedrigen Hügel aus, auf dem die hölzerne Dorfkirche stand, weit hinein in die wild gezackte, auf den hohen Gipfeln schon mit Schnee und Eis bedeckte scheinbar endlose Kette der Berge im Süden des Landes sehen konnte. Die dichten, artenreichen Mischwälder ringsumher, auf dem Bühlach, dem nördlichen Meierberg, dem hohen Bisenberg und an den Hängen der Ambraschlucht, mit ihren mächtigen Buchen und Eichen, immergrünen Fichten und Eiben, und dem großblättrigen Ahorn dazwischen glühten und leuchteten im Licht der milden Sonne in feurigem Kupferrot und sattem Orange, in warmen Brauntönen, in Grün- und Gelbschattierungen und in einem dunklen, tiefen Rot von der Farbe frischen Blutes. Die weiten Felder rings um den Weiler waren bereits abgeerntet und umgepflügt, dunkelbraune, reichhaltige Erdbrocken lagen auf den mit Dung und Mist bedeckten Böden, und auf den von Flechtzäunen umgebenen Wiesen rupften sich die Kühe und Schafe das magere Gras der letzten schönen Tage, bevor der Winter einbrach.
Im Dorf selber herrschte das laute, lustige Treiben von vielen geschäftigen Menschen, dessen Mittelpunkt sich auf dem geräumigen Hof des Meieranwesens befand. Dort stellten die Knechte unter Rufen und Lachen schwere Holztische und einfache Bänke auf, und die Mägde bedeckten die rauhen Tische mit weiß gebleichten Tüchern aus Leinen und schleppten unermüdlich Platten und Schüsseln mit Rüben und Kohl, Äpfeln und Birnen, Zwetschgen und
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