Mein Name ist Afra (German Edition)
Waldbeeren, gepökeltem und geräuchertem Fleisch, Getreidebrei und frischem Brot herbei und stellten alles auf den Tischen ab. In der Mitte des Hofplatzes war ein hölzernes Gerüst aufgebaut, an dem an eisernen Ketten eine schwere Stange mit einem aufgespießten ganzen Ochsen hing, und direkt unter dem gehäuteten Tier brannte ein glutvolles Feuer, das von einem erfahrenen, älteren Mann bewacht und angefacht wurde. Dieser gab auch den jungen Kerlen, die zu seiner Hilfe eingeteilt waren und von dem Alten reichlich oft barsch angefahren wurden, genaue Anweisungen, wie sie das schwere Tier auf dem riesigen Spieß hin und wieder drehen mußten, damit es rundherum gleichmäßig braun und knusprig gebraten wurde. Das machte ihm so leicht keiner recht, und das gelegentliche Bestreichen des Ochsen mit einer Mischung aus Kräutern, Salz und Fett aus einem Tontopf zelebrierte der Alte wie der Dorfpriester die heilige Messe.
Ein junges Mädchen lehnte mit dem Rücken am breiten Stamm der uralten Linde in der Mitte des Weilers, raschelte und spielte mit den Füßen in den gelben, herzförmigen Laubblättern am Boden und beobachtete dabei mit freudigem Glanz in ihren bernsteinfarbenen Augen die zum Meierhof eilenden, festlich gekleideten Menschen. Sie selber trug ebenfalls ihr bestes Gewand, eine Tunika aus feiner, blaugefärbter Wolle über einem hellen Unterkleid aus Leinen und darüber einen kunstvoll aus Bast geflochtenen Gürtel mit allerlei Zierat. Die Kleider waren für eine erwachsene Frau geschnitten und noch etwas zu groß für die Zwölfjährige, der Saum reichte ihr bis zu den Fersen hinab, und der selbstgefertigte Gürtel hatte in der Leibesmitte reichlich Stoff zusammenzuhalten, denn die Hüften waren schmal und zierlich und die winzigen Brüste füllten das Kleid vorne nicht im mindesten. Das dichte, lange Haar war mit gewebten Bändern zu zwei aufwendigen Zöpfen gebunden, in denen kleine, gelbe Blumen steckten, die sehr gut zu den blond melierten Locken des Kindes paßten und dem eher herben, jungenhaften Mädchen etwas Weiches und Zartes gaben.
„Endlich haben die Leute wieder etwas zum Feiern!“ dachte sie, und ein kleines Lächeln erschien auf ihrem blassem Gesicht, als sie unter all den Menschen ihre Freundin erblickte, die am Bach entlang ging und anscheinend nach ihr suchte. Das ältere Mädchen trug die gleiche blaue Tunika und denselben geflochtenen Gürtel um den Leib wie das Kind unter der Linde, aber durch ihren kleinen, festen Busen und die sanft gerundeten Formen ihres Körpers sah sie wie eine erwachsene Frau aus. Während sie am Ufer entlang schlenderte und nach ihrer Freundin Ausschau hielt, schäkerte sie fröhlich mit den jungen Männern, die müßig unter den Weidensträuchern am Bachrand herumsaßen und auf den Beginn des Festes warteten, und immer wieder warf sie von der Seite einen schnellen Blick aus ihren leuchtend blauen Augen auf einen großen, schlanken Jungen mit dunklen Locken, der abseits von den anderen am Ufer saß, in seine Gedanken versunken kleine Kieselsteine aufhob und nacheinander ins Wasser warf und das hübsche Mädchen nicht beachtete. „Er merkt gar nicht, daß sie in ihn verliebt ist,“ flüsterte das Kind unter dem Baum vor sich hin, und als ob sie die leisen Worte gehört hätte, schaute von der anderen Seite des Baches eine schwarzhaarige Frau in einem grauen, einfachen Kittel von ihrer Arbeit auf und winkte dem Mädchen unter der Linde zu.
Ein stürmisches Gedränge und Gerangel setzte jetzt unter den vielen Leuten ein, denn die Brautleute waren mit ihren Familien auf den Dorfplatz gekommen, und alle Bewohner von Pitengouua und auch jeder fremde Gast dieser Feier wollte ganz vorne stehen und zusehen, wie die Hochzeit abgehalten wurde. Das junge Mädchen raffte ihr überlanges Kleid zusammen, wickelte es einmal um ihren Arm und kletterte geschickt wie ein Eichhörnchen mit nackten Füßen auf einen starken Ast des Baumes, und von dort aus hatte sie die beste Übersicht und konnte alles genau verfolgen.
Mit feierlichen, ernsten Mienen standen sich die Familien des jungen Paares jetzt in der Mitte des Platzes gegenüber, und die Freundin in dem blauen Kleid hatte sich dicht hinter der Braut aufgestellt, denn es war ihre ältere Schwester, die heute heiratete, in einem langen, dunkelroten Wollkleid und mit einer bunt bestickten Haube aus Filz auf den aufgesteckten, braunen Haaren. Die wichtigen freien Männer des Gaus, Wicpert von der Burg und der alte
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