Mein Name ist Afra (German Edition)
besinnlicher, und er sang mit weicher Stimme ein trauriges Lied vom fröhlichen, warmen Sommer, der nun vorüber war, und von dem kalten Winter, der vor der Tür stand. Er sang von der verbotenen Liebe zwischen einer jungen Frau und einem Mann, die nie ihre Erfüllung fand, und das einsame Mädchen unter dem Giebel des Meierhofs wickelte frierend eine Wolldecke um sich und weinte.
Afra
Vier lange, harte Jahre waren vergangen, als wir im Herbst 944 endlich wieder ein richtiges Fest in unserem Dorf feierten. Weder Richlint noch Walburc oder ich waren die gleichen unbeschwerten Kinder wie vor dem Überfall der Barbaren, unser aller Leben hatte sich seit diesem Tag grundlegend verändert und unsere Kindheit war für alle Zeiten vorbei. Wenn ich an diese Jahre zurückdenke, spüre ich noch einmal den nagenden Hunger in meinem leeren Bauch und die eisige Kälte auf meinem dünnen Körper, unter denen wir vor allem im ersten Winter nach dem Unglück litten, und ich sehe Richlint und mich eng aneinander geschmiegt auf dem Bett hocken, eine wollene Decke um uns geschlungen, und mit vor Trauer rauhen Stimmen leise über unsere toten Mütter reden. Selbst nach tausend Jahren fährt der Schmerz brennend wie ein glühendheiß geschmiedetes Messer in meine Brust, wenn ich an ihren Tod denke, und immer wieder sehe ich meine unschuldige Mutter Rautgund leblos in den Armen meines weinenden Vaters liegen und fühle mich grenzenlos verlassen und traurig. Daß die allmächtige Gottheit so und nicht anders entschieden hat, das nehme ich jetzt klaglos hin, aber den Grund dafür, daß Frauen und kleine Kinder grausam sterben müssen, habe ich bis heute nicht verstanden, und es werden wohl noch weitere tausend lange Jahre vergehen müssen, bis ich darin einen Sinn erkennen kann.
In diesem Herbst aber, als Richlint zwölf und ich dreizehn Jahre zählte, herrschten statt Trauer und Armut endlich wieder Zuversicht und Wohlstand in unserer kleinen Gemeinschaft, und die Menschen lachten und feierten und machten Pläne für die Zukunft. Es war die Hochzeit meiner Schwester Walburc, die so großartig begangen wurde, denn mit ihrem jungen Mann zog der zukünftige Meier nach Pitengouua, und damit begann für uns alle eine neue Zeit voller Hoffnung auf Wohlstand und Frieden.
Die Ehe zwischen Walburc und Bruno war von seinen Eltern und meinem Vater ausgehandelt und vereinbart worden, und die Brautleute hatten sich vor der Hochzeit nur einmal kurz getroffen, als Bruno mit seinem Vater zu einem Besuch auf dem Gut in der Dornau weilte. Zu dieser Zeit war zwischen den Alten bereits alles ausgemacht und der Tag der Hochzeit stand schon fest, aber der Bräutigam zauderte noch ein wenig, da er seine zukünftige Frau nie gesehen hatte und sich wegen ihres Aussehens und ihrer Wesensart nicht allein auf die Berichte von anderen verlassen, sondern das Mädchen selbst in Augenschein nehmen wollte.
Walburc war damals fünfzehn Jahre alt, ein mittelgroßes, kräftiges Mädchen mit dunkelbraunen Zöpfen und einer frischen, gesunden Gesichtsfarbe, und die ausgeprägten weiblichen Formen ihres Körpers und ihre Ernsthaftigkeit ließen sie älter erscheinen, als sie tatsächlich war. Nach dem Tod unserer Mutter lag zuviel Verantwortung auf ihren Schultern, denn der Haushalt im Meierhof mußte weitergeführt und dazu die kleine Schwester mit ihrer mutterlosen Freundin betreut werden, und unser Vater Wezilo war ihr darin keine Hilfe, denn nach dem schmerzvollen Verlust von Rautgund wurde er einsilbig und wortkarg und zog sich allein zurück, wann immer es möglich war. Walburc war damals erst elf Jahre alt, aber sie ließ sich nicht für einen Augenblick gehen oder war müßig, sondern teilte jedem seine Aufgaben zu und arbeitete selbst von Sonnenaufgang bis zur tiefen Nacht. Unsere Mutter war immer ihr Vorbild gewesen und sie hatte von ihr gelernt, wie man einen so großen Hof führt und die Knechte und Mägde anleitet und dabei selbst ohne Zögern vorangeht bei der Arbeit. Auch den festen Glauben an Jesus und die Kraft der Heiligen hatte Walburc von unserer Mutter übernommen, und mit dem tröstlichen Gedanken an Rautgund im himmlischen Paradies unter lauter Engeln fiel ihr der bittere Alltag leichter als Richlint und mir. Walburc tat ihre Pflicht und klagte nie, für sie war der angemessene Platz für Trauer der Friedhof mit seinen Gräbern, und nur dort sah ich sie jeden Sonntag nach dem Kirchgang auf den Knien liegen und leise weinen.
Als dieses
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