Mein Name ist Afra (German Edition)
der Verwüstung durch die ungarischen Reiter, Frauen, Männer und Kinder; und das wenige Vieh, das nicht im November geschlachtet wurde, sondern dringend zur Weiterzucht nötig war und durchgefüttert werden mußte, war so dürr und schwach, daß im Frühjahr die Rippen der Tiere wie totes Holz herausstanden und wir sie mit vereinten Kräften mehr auf die Weide schleppen als führen mußten.
In den darauffolgenden Jahren besserte sich unser Leben langsam, denn wir Leute von Pitengouua waren zäh und fleißig und schufteten hart, um den Schaden der Barbaren gut zu machen. Was zerstört war, wurde wieder aufgebaut, Grubenkeller ausgeschachtet, die Felder mit neuer Saat bestellt, Schweine und Rinder gezüchtet, und nach langer Zeit füllten sich auch unsere Vorratsschuppen wieder mit Getreide, Fleisch und Gemüse. Zweimal in diesen vier Jahren kam Graf Roudolf selber nach Pitengouua, um auf der Burg und dem Meierhof nach dem Rechten zu schauen und sich um die jetzt mutterlosen Kinder seines verstorbenen Bruders Eticho zu kümmern, so wie er es bei ihrer Freilassung versprochen hatte. Der kleine Eticho war in der Grafenfamilie bei Roudolf und seiner Frau Itha in Altdorf gut aufgehoben, und er wuchs und war klug für sein Alter, wie der Graf den Geschwistern berichtete. Rasso lebte damals oben auf der Burg bei Wicpert und Uoda, wie es schon vor dem Unglückstag vereinbart worden war, und nachdem Wichard mit achtzehn Jahren geheiratet hatte, eine fröhliche, junge Frau aus dem Westen namens Eilika, fand der Graf, daß auch Rasso standesgemäß heiraten und eine Familie gründen sollte und versprach ihn mit Kunissa, einem jungen Mädchen aus einer sehr guten und vermögenden Familie, die in Andehsa am Amberse einen großen Gutshof mit Land und Leuten besaß. Richlint lebte mit uns auf dem Meierhof, bei Wezilo, Walburc und mir, und wir teilten so gut es ging ein Bett und unseren Kummer und die Angst vor der Zukunft miteinander. Unsere Freundschaft wurde enger als je zuvor, und wir waren wie zwei Schwestern.
Deshalb verstand ich an diesem sonnigen Nachmittag auf der Obstwiese in der Dornau Richlint so gut, als sie sich über den zukünftigen Mann von Walburc aufregte. Wir beide liebten unsere große Schwester, die immer für uns da gewesen war, und wir wollten sie glücklich sehen, wir wollten, daß ein Mann nur um ihretwillen um sie freite, und nicht, weil er dadurch einen großen Hof und eine tüchtige Meierin bekam. „Ich lasse mich nicht einfach verheiraten!“ sagte Richlint trotzig, und mit einer heftigen Bewegung des Kopfes warf sie ihre dunkelblonden Zöpfe nach hinten über den Rücken, entzog mir ihre Hände und verschränkte sie entschlossen vor der Brust, „und abschätzen und verkaufen wie ein Stück Vieh! Unfrei bin ich die ersten Jahre meines Lebens gewesen, und jetzt lasse ich nicht wieder jemand über mich bestimmen! Entweder ein Mann gefällt mir und ich liebe ihn so sehr, daß ich einfach alles mit ihm teilen möchte, sogar Hunger und Not, oder ich heirate niemals, und lebe allein wie Justina!“
Um Heirat und Ehe drehten sich unsere Gespräche in letzter Zeit immer öfter, denn nach Wichard und Walburc kam im Dorf und auf der Burg eine nach der anderen an die Reihe, und wir wußten genau, daß wir nach Liutbirc die beiden nächsten sein würden, die zur Ehe versprochen wurden. Ich war nüchterner als Richlint, nicht so verträumt und eigensinnig, und mir war bewußt, daß wir den Mann nehmen mußten, den mein Vater oder Richlint´s Oheim für uns aussuchten. Auch für Richlint als Graf Eticho´s Tochter würde es keine Ausnahme geben, denn Frauen und Mädchen standen schon zu allen Zeiten unter der Gewalt ihrer Väter oder Ehemänner und hatten selbst keine Stimme. Sogar die hochgeborenen Frauen aus den Herrscherhäusern wurden nicht nach ihren Gefühlen gefragt, und die Königin Edgith aus Britannien war von ihrem Vater mit unserem König Otto vermählt worden, obwohl sie ihn vorher noch nie gesehen hatte, und auch Leutgard, die Tochter der beiden, würde nicht um ihre Neigung oder ihre Wünsche gebeten werden, wenn ihre Zeit zum Heiraten gekommen war.
Richlint machte mich wütend mit ihrer starrköpfigen Art. Nie wollte sie die Dinge hinnehmen, wie sie waren, sondern immer aufbegehren gegen alles und jeden. „Du weißt sehr gut, Richlint, daß eine Frau ihr Leben lang unter der Munt eines Mannes stehen wird! Beim Kind ist es der Vater, bei der Frau der Mann, und selbst eine Witwe kann nicht frei
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