Mein Name ist Afra (German Edition)
Gebet wird eine Quelle der Kraft und Freude für dich sein. Bete, Kind, bete, damit der heilige Geist über dich kommt!“ Und der Bischof strich sanft mit seinen langen, schmalen Fingern über Richlint´s Wange und wandte sich dann wieder dem Gespräch mit den anderen Männern zu.
Schon sehr früh am Morgen des nächsten Tages brachen die Pilger unter der Führung des Bischofs zum Kloster im Staphinse auf, dessen Abt ein Freund und Untergebener von Udalrich war, und im naheliegenden Murnowe begann dann die alte Römerstraße, die sie über Partanum und Veldidena, durchs Norital und über die hohen, schneebedeckten Alpes nach Rom führen sollte. Im Kloster Sabiona am wilden Gebirgsfluß Eisack war ein erster längerer Aufenthalt der Pilger geplant, und die Reiter freuten sich für die nächsten Tage auf schönes und trockenes Reisewetter, denn die dichten Morgennebel fielen und die fernen Berge lagen im trüben Dunst.
Die ganze Gemeinde von Pitengouua stand auf dem Dorfplatz, um die Pilger zu verabschieden, und Richlint hielt die Hand von Kunissa, Rasso´s schwangerer Frau, die bitterlich weinte, als sie ihren Mann hoch zu Roß und mit freudiger, aufgeregter Miene leichten Herzens aufbrechen sah. Liutbirc stand daneben, stolz und selbstsicher als verheiratete Frau und Herrin von Dornau, aber Arbeo hatte nicht einen einzigen Blick für sie übrig, sondern schaute sich verzweifelt suchend nach Justina um. Manegold und Dietpald ritten voran, die hölzernen Stangen mit den bunten Fahnen des Bischofs in den Fäusten, und dicht hinter ihnen Udalrich in seinem grauen Mantel aus Wolfsfellen, mit dem blutjungen Königssohn und den anderen hohen Adeligen. Dann folgten die Männer aus unserem Gau, Rasso, Arbeo und der Haslacher Utz, und all die Mönche und Priester, die ihren Hirten auf der Pilgerreise begleiteten, und die Reitknechte und Diener mit den Packpferden und den Vorräten. Die Leute des Dorfes schauten und winkten dem Trupp nach, soweit die Blicke reichten, und Richlint und ich liefen atemlos noch ein ganzes Stück die Pitenach entlang, um die Reiter solange zu sehen, bis die letzte farbig leuchtende Fahne im Dunkel des Waldes verschwunden war.
In den folgenden Wochen und Monaten war es ruhig im Dorf, das gewöhnliche Leben mit unserer täglichen Arbeit ging einfach weiter, auch wenn die Gedanken und Sorgen von uns allen immer wieder bei den Pilgern und ihrem weiten Weg nach Rom waren. Bischof Udalrich hatte einen starken Eindruck hinterlassen, und nie wieder kamen mir die Menschen meiner Umgebung so ausgeglichen und freundlich zu jedermann vor wie in dieser Zeit. Es schien mir, als ob sogar Bruno und Liutbirc sich verändert hätten, denn der eine trank nicht mehr soviel, packte bei der Arbeit mit an und freute sich sichtlich auf sein erstes Kind, und Liutbirc, die in den drei Nächten ihrer bisherigen Ehe zu ihrem großen Kummer noch nicht empfangen hatte, besuchte ihre alte Freundin Walburc wie zu unseren Kinderzeiten sehr häufig und nahm an deren Schwangerschaft großen Anteil. Dabei war sie stets freundlich und zuvorkommend zu Richlint und mir, und insgeheim tat sie mir leid in ihrem blindem Stolz, denn sie ahnte nichts von Arbeo´s Liebe zu Justina und dem gemeinsamen Kind der beiden und hoffte auf eine glückliche Verbindung mit ihrem Mann und auf gesunde Kinder.
Richlint und ich halfen unserer Schwester Walburc auf dem großen Meierhof, so gut wir konnten, und am Sonntag besuchten wir regelmäßig Justina draußen im Weinland. Unsere Hochzeit mit den Brüdern Leonhard und Chuonrad wurde auf einen gemeinsamen Tag im Herbst festgelegt, wenn Walburc sich von der Geburt ihres Kindes erholt haben würde und die Ernte eingebracht wäre, und mein Vater suchte schon den Platz für den Hof von Leonhard und mir aus und verhandelte mit dem Haslachbauern über die Brautgabe. Ich freute mich auf die Ehe, denn Leonhard war ein gutmütiger und heiterer Mann, freundlich zu Mensch und Tier und besonders liebevoll mit kleinen Kindern, und nichts wünschte ich mir mehr als ein eigenes Haus und viele Kinder. Richlint aber graute vor dem Leben auf dem Haslacher Hof, obwohl es ihr dort sicher an nichts mangeln würde, denn es war die reichste Familie im Gau, deren ältesten Sohn und Erben sie heiraten sollte. Wir beide beteten jeden Tag in der kleinen Kirche, gemäß den strengen Ermahnungen des Bischofs, aber Richlint betete inbrünstig nur um das Wohl ihres fernen Bruders Rasso, und darum, Chuonrad nicht heiraten zu
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