Mein Name ist Afra (German Edition)
müssen, und ich glaube nicht, daß solche Gebete im Sinne des Bischofs waren.
Es war ein besonders heißer und schwüler Sommer in diesem Jahr und die Hitze der langen Julitage machte meiner schwangeren Schwester sehr zu schaffen, je mehr das Kind in Walburc´s Leib wuchs, desto öfter klagte sie über Atemnot und die Schwere ihrer Glieder. Aber sie dachte nicht im Traum daran, sich zu schonen und die schwere Arbeit anderen zu überlassen, sondern verlängerte ihr Tagwerk häufig bis tief in die Nachtstunden und spann und webte noch beim trüben Licht der Kienspäne, wenn das ganze Dorf schon in tiefem Schlaf lag. „Am Abend ist es kühler und angenehmer für mich, da kann ich viel besser weben, und das Schlafen fällt mir mit dem dicken Bauch sowieso schwer!“ antwortete sie lächelnd auf meine Vorhaltungen, und ich wußte genau, daß alle meine fürsorglichen Worte umsonst waren, denn Walburc wollte ihren Meierhof in Ordnung haben, wenn sie niederkam. Dabei war sie bei all den Anstrengungen mager und blaß geworden, und ihre warmherzigen, braunen Augen lagen dunkel umschattet tief im Gesicht.
Die Geburt des Kindes wurde in der Mitte des Monats August erwartet, aber schon zwei Wochen vor dieser Zeit, in den letzten Tagen des Juli, begannen die Wehen. Es war in den frühen Abendstunden eines heißen Tages, als ich mit Walburc die Kühe auf der Wiese weit hinter dem Haus mit Wasser versorgte und anschließend melkte, denn in den Sommernächten blieb das Vieh auf der Weide in der Nähe des Hofs, und die scharfen Hunde des Dorfes bewachten es vor Wölfen und anderen Raubtieren. Die Knechte und Mägde waren alle mit Wezilo und Bruno zusammen auf dem Feld, denn das schöne Wetter mußte genutzt werden, um rechtzeitig die Ernte einzubringen, und da war jede helfende Hand vonnöten. Richlint versorgte die Schafe und Ziegen in ihrem Gatter und wollte sich anschließend um das Abendmahl kümmern, und meine Schwester und ich hatten die Kühe übernommen, denn wir beide waren die besten und schnellsten Melkerinnen des Dorfes. Die Schmiedin, ein mittlerweile altes und zahnloses Weib, saß im Schatten der Dorflinde und sah uns zu, als wir einen vollen, überschwappenden Holzkübel nach dem anderen vom Brunnen bis auf die Weide schleppten, und als alle Tiere getränkt waren, holten wir die dreibeinigen Melkschemel und die Milchkübel aus dem Stall, hockten uns jede unter eine Kuh und begannen zu melken. Ich liebte diese Arbeit mehr als jede andere, den schweren, trägen Atem der Tiere, wenn sie über meinen Kopf bliesen, den würzigen Duft ihrer warmen Leiber nach Gras und Milch, die sanft schaukelnden rosafarbenen Euter und die seidige, weiche Haut der vollen Zitzen in meinen Händen. Manchmal leckte eine Kuh mit ihrer langen, blauen Zunge über meinen nackten Arm, das kitzelte rauh und wohlig, und ich legte meine Wange an die bebende Flanke des Tieres und spürte den Schlag seines Herzens.
Walburc war sehr langsam an diesem Abend, während ich bereits die zweite volle Kanne zum Meierhof trug und in den großen Milchtrog schüttete, hatte sie erst drei Kühe gemolken und stand gerade schwerfällig auf, um zum nächsten Tier zu gehen, als ein starker Schmerz durch ihren Körper lief und sie überrascht aufschrie. Ich war genauso erschrocken wie sie selbst, denn es war noch zu früh für das Kind, aber nach kurzer Zeit fühlte sich Walburc wieder wohl und wollte unbedingt weiter arbeiten. „Ich habe mich wahrscheinlich beim Wassertragen übernommen,“ meinte sie, „das ist sicher noch nicht der Beginn der Geburt!“ Aber auf mein eindringliches Bitten und Drängen hin ging sie doch ins Haus zurück, und ich beeilte mich mit dem Melken, um nach ihr zu schauen.
Richlint und die Schmiedin saßen bei Walburc, als ich in der Dämmerung die stickige, heiße Stube betrat, in der auf der Feuerstelle ein Topf mit der Abendsuppe köchelte, und die alte Frau nuschelte aufgeregt vor sich hin, daß die Geburt anstehe und wir schleunigst Justina vom Weinland und die anderen Frauen holen sollten, denn bei den starken Schmerzen von Walburc könne es nicht mehr lange hingehen, bis das Kind zur Welt käme. Aber meine Schwester wehrte sich entschieden dagegen, denn bei der ersten Niederkunft einer Frau dauerte es meist sehr lange, und sie wollte nicht, daß ausgerechnet in der Erntezeit die ganzen Frauen bei ihr in der Stube hockten und nicht beim Einfahren und Lagern des Getreides mithalfen. Denn bei uns im Dorf kamen gewöhnlich alle
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