Mein Name ist Afra (German Edition)
Frauen bei einer Geburt zusammen und saßen um das Lager der Wöchnerin, ermunterten die Gebärende, beteten gemeinsam für sie und erzählten von den Umständen, als ihre eigenen Kinder zur Welt kamen. Die Männer dagegen mußten draußen bleiben, denn das war die Sache der Frauen.
Walburc überredete uns, in dieser Nacht niemanden zu rufen, denn am nächsten Morgen sei noch Zeit genug dafür, und die Schmerzen hätten bereits nachgelassen und wären sicher keine richtigen Wehen gewesen. Richlint und mir fehlte es an Erfahrung in diesen Dingen, und die Schmiedin war wohl schon zu alt und zu fehlsichtig, um die Schwere der Wehen bei meiner Schwester wirklich zu erkennen und auf dem Beistand der anderen Frauen zu bestehen. So gingen wir nach dem Essen alle in unser Bett, auch Bruno und Wezilo, die hundemüde von der Ernte nach Hause gekommen waren und von Walburc´s Schmerzen gar nichts ahnten.
Ich weiß noch genau, daß ich sofort tief und fest einschlief, denn die harte Arbeit und die Hitze des Tages hatten mich erschöpft, und Richlint´s vertrauter Körper dicht an meinem Rücken beruhigte mich wie immer. Mitten in der Nacht aber war ich auf einmal hellwach, hörte eine Zeitlang auf das Schnarchen der Männer und den ruhigen, gleichmäßigen Atem von Richlint neben mir, und dann fiel mir Walburc ein, und ich stand auf und ging zu ihrem Lager hinüber. Bruno lag dick und schwerfällig auf dem Rücken und atmete mit weit offenem Mund, und Walburc krümmte sich ganz am Rande des Betts, im schwachen Licht des langsam verlöschenden Herdfeuers sah ich winzige Perlen von Schweiß auf ihrer Stirn und lange, nasse Haarsträhnen klebten an ihrem bleichen Gesicht. Als sie mich sah, leuchteten ihre Augen auf, und sie packte mit aller Gewalt meine Hand und zog mich zu sich heran, bis ich am Boden neben ihr kniete.
„Afra, wie gut, daß du aufgewacht bist! Hör zu! Du mußt mir etwas versprechen, bei Gott und allen Heiligen, und bei der gnädigen Muttergottes! Wenn ich sterbe, dann...“ Ich unterbrach sie voller Angst. „Du wirst nicht sterben, Walburc, nicht jetzt! Alle Frauen bekommen Kinder, und daran braucht man nicht zu sterben, Justina hat ihr Kind ganz alleine bekommen und alles war gut! Bitte red´ nicht vom Tod, das bringt nur Unglück, und du machst mir Angst damit!“
Der Griff meiner Schwester war trotz ihrer Schwäche hart wie Eisen, und ich konnte ihr meine Hand nicht entziehen. „Hör zu!“ flüsterte sie eindringlich, „wenn ich bei der Geburt dieses Kindes sterbe, dann sollst du dich um das Kleine kümmern! Und um unseren alten Vater, er hat schon soviel mitgemacht in diesem Leben, und um den Meierhof, den er so liebt! Versprich´ es mir, Afra!“
Wieder packte der Schmerz Walburc, und sie ließ meine Hand los und wand sich mit verzerrtem Gesicht auf ihrem schweißnassen Lager. Ich weinte und hielt mir mit beiden Händen die Ohren zu, denn ich wollte ihre Worte nicht hören. „Ich brauch´ dir nichts versprechen, Walburc, denn du wirst nicht sterben! Du wirst dein Kind selber aufziehen und weiter die Herrin auf dem Meierhof sein! Und ich werde jetzt alle wecken und die Frauen holen, denn es geht dir schlecht, und wir werden gemeinsam für dich beten und Justina wird dich heilen, du wirst schon sehen!“
Ich stand auf und wollte gehen, aber Walburc erwischte den Zipfel meines Hemdes und hielt mich daran fest. „Du mußt es mir versprechen, Afra, denn du bist meine einzige Schwester, und du bist stark genug für dieses Leben! Gelobe bei der Seele unserer toten Mutter, daß du tust, um was ich dich gebeten habe!“ Als Walburc von unserer Mutter sprach, kehrte die Erinnerung an ihren grausamen Tod durch die Hand der Barbaren wieder zurück, und ich erkannte, daß es für keinen von uns irgendeine Sicherheit oder Gewißheit gab auf dieser Erde. Auch meine Schwester könnte sterben und mich verlassen, und ich wußte genau, daß ich mich ihrer Bitte nicht länger verweigern konnte. Walburc würde mir keine Ruhe mehr lassen, bevor ich ihr nicht dieses Versprechen gegeben hatte, und ich wandte mich zu ihr und schwor bei allem, was mir heilig war, mich um ihr Kind und um unseren Vater zu kümmern und für sie zu sorgen, so gut es mir möglich war. Sie legte sich zurück und lächelte mich erleichtert und voller Liebe an, und ich strich ihr sanft die klebrigen Haarsträhnen aus dem nassen Gesicht und deckte sie zu. „Du wirst nicht sterben! Ich wecke jetzt die Frauen!“
Der Kampf von Walburc um ihr
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