Mein Name ist Afra (German Edition)
stieß seine Schwägerin neckend in die Seite, „reich und berühmt ist dein Bruder schon, und jetzt wird er auch noch ein Klostergründer wie der selige Herzog Tassilo!“ Richlint aber lachte nicht bei diesem Scherz, sondern drehte sich still um und ging zum Herd zurück.
„Meine Schwester hat kein Verständnis für meine Entscheidung,“ sagte Rasso mit tiefem Bedauern in der Stimme, „sie läßt Jesus Christus nicht in ihr Herz. Jeden Tag auf der Insel werde ich für sie und ihre Seele beten! Ja, ihr habt richtig gehört, Chuonrad und Utz, ich selber werde in diesem meinem Kloster leben und wirken, als einfacher Mönch ohne Reichtum und Vermögen, und nie wieder werde ich eine Waffe erheben gegen Mensch oder Tier!“
Die Haslachbrüder waren sprachlos, mit offenem Mund saßen Utz und Chuonrad da und fanden keine Worte. Daß ein reicher Mann fromm war und ein Kloster gründete oder der Kirche Land und Vermögen überließ, das konnten sie verstehen, denn damit sicherte er das Heil seiner Seele und das seiner Angehörigen. Aber daß ein mutiger und starker Kämpfer wie Rasso, von schöner Gestalt und blitzendem Verstand, ein mit allen Gaben und Tugenden ausgestatteter Mann, ein Freund hoher Herren und Anhänger des Herzogs, ein Gutsbesitzer mit ausgedehnten Ländereien, daß so ein Mann alles Irdische aufgeben wollte, um Gott als einfacher Mönch zu dienen, das ging über den Verstand der Brüder, und sie starrten ihn mit großen Augen an und wußten nichts dazu zu sagen.
Rasso stand auf und öffnete die Tür, schaute eine Weile in den sich langsam verdunkelnden, steingrauen Himmel hinauf und drehte sich dann wieder zu den Männern am Tisch. „Ihr werdet mich jetzt entschuldigen, Chuonrad und Utz, ich will mich auf mein Nachtlager im Stall zurückziehen. Es beginnt bereits zu schneien, und schon am frühen Morgen führt mein Weg nach Pitengouua zu Meier und Burgvogt, das wird kein leichter Ritt werden, wenn dieser erste Schnee liegen bleibt und die Pfade bedeckt! Laßt uns jetzt Abschied nehmen und seid versichert, daß ich eurer Familie immer eingedenk sein und euch in meine täglichen Gebete aufnehmen werde, und es wäre eine große Freude für mich, euch alle als Pilger zu den heiligen Reliquien auf meiner Insel wiedersehen zu dürfen!“ Nach diesen Worten verneigte sich Rasso höflich, zuerst vor Chuonrad, seinem Schwager und Herrn des Hofes, dann vor Utz und der alten Hedwig auf ihrem Lager, und mit wenigen Schritten war er bei seiner Schwester neben der Feuerstelle, umfaßte liebevoll Richlint, die mit herabhängenden Armen und gesenktem Kopf dastand und seine Umarmung nicht erwiderte, und flüsterte ihr zu. „Denke daran, was ich dir vorgeschlagen habe, Schwester! Unser aller Leben liegt in der Hand des Allmächtigen, begib dich vertrauensvoll in seine Obhut!“
Afra
Nach ihrer Hochzeit habe ich Richlint lange Zeit nur am Sonntagmorgen in der Dorfkirche getroffen, denn seit alters her reiten alle gesunden Mitglieder der Haslachfamilie auf edlen Pferden und angetan mit ihrer besten Kleidung zur Heiligen Messe nach Pitengouua, und die Knechte und Mägde folgen der stolzen Familie zu Fuß. Ich konnte meine Freundin an diesen Sonntagen zwar sehen, aber selten ungestört mit ihr sprechen oder gar eine Zeitlang alleine mit ihr sein, denn ihr Mann befand sich stets an der Seite seiner Frau und achtete streng darauf, mit wem sie sich nach der Messe unterhielt oder wohin ihre Augen wanderten. Chuonrad war genau wie sein Vater Sigiboto der Ansicht, daß Frauen in der Gegenwart von Männern zu schweigen hatten und daß die eigene Familie mit Haus und Hof ihr alleiniger Lebensinhalt sein sollte, für die besondere Freundschaft von Richlint, Justina und mir hatte er keinerlei Verständnis.
Justina kam nur im Sommer manchmal mit ihrem Sohn zur Sonntagsmesse ins Dorf und hielt sich immer still und unauffällig unter den Leibeigenen auf, und Richlint fragte sie dann jedesmal ausführlich nach irgendwelchen Heilkräutern oder wie man ein krankes Rind mit verdrehten Eingeweiden behandelte oder welche Pflanzen für die Färbung von Wolle geeignet waren. Gegen diese Art von Gesprächen konnte Chuonrad schlecht etwas einwenden, denn es ging ja um die Arbeit der Hausfrau, aber gerne sah er die beiden Frauen nicht beieinander stehen, und nach kurzer Zeit rief er Richlint immer mit barscher Stimme zu sich. Ich aber war nicht nur seine Schwägerin, sondern auch die Meierin im Gau, den Umgang mit mir konnte Chuonrad
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