Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Name ist Eugen

Mein Name ist Eugen

Titel: Mein Name ist Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Schädelin
Vom Netzwerk:
des Leichtschnellzuges ohne Anhalt in Olten. Mit einem Wort:
    Das Leben ist hart. Hütet euch vor ihm!

DAMALS, ALS WIR HEIMWÄRTS ZOGEN

    Wenn man in einem Zug sitzt, der einen ohne Anhalt den schnaubenden Eltern entgegentreibt, dann ist das ein ähnliches Gefühl, wie in einem Auto, kurz vor dem Zusammenstoss. Wohl dem, der sich noch überlegt, wie er den Anprall lindern könnte.
    Das taten wir von Zürich bis Aarau. Der Wrigley hielt uns eine Rede über unsere Unschuld, und das brachte uns auf eine Idee:
    Auch frühere Christen, lange Zeit vor uns, mussten ohne Schuld unter Verfolgung leiden, und in solchen Augenblicken halfen sie sich damit, dass sie Märtyrer wurden. Der Wrigley sagte, das mache alles viel leichter und erst noch berühmt. Zum Beispiel der Ökolumban, den sie in den Löwenkäfig führten, sei bis in unsere Tage unvergessen.
    Märtyrer werden sei gar nicht so schwer. Bedingung sei bloss: Man dürfe sich nicht wehren, was auch komme. Das verwirre den Gegner. Mit stummen Duldern sei gar nicht so leicht fertig zu werden, wie man meinen könnte.
    Um stumm zu dulden, müsse man nämlich nur den Blick umfloren und sehr ernst lächeln. Wenn wir das nun eine Stunde lang übten, so seien wir für Bern gewappnet.
    Der Wrigley zeigte es uns, wie man es macht: Er schlug ganz langsam und demütig die Augen auf, und wir brachten es zu einer gewissen Fertigkeit und wären vermutlich unsere Sorgen losgeworden, wäre nicht etwas Widriges dazwischengetreten:
    Kurz nach dem Tunnel vor Aarburg überkam den Wrigley das Glucksen, oder wie man bei den Deutschen sagt: Der Schluckauf. Dieses Gebrechen war im jetzigen Augenblick sehr fehl am Platz, denn jedesmal, wenn der Wrigley die Augenlieder in stummem Leiden langsam hob, machte er: «Hucks», und das nahm der Sache irgendwie den nötigen Ernst.
    Deshalb versuchten wir ihn sorgenvoll zu heilen.
    Zuerst probierten wir es mit den einschlägigen Mittelchen: Der Wrigley musste die Ohren zuhalten und siebenmal ohne zu atmen schlucken; dann musste er mit der rechten Hand die linke Schuhsohle ergreifen und ein sogenanntes sinnbildliches Kreuz darauf zeichnen; dann gurgelte er mit unverdünntem «Dr. Baldeggers Mundwasser» aus Bäschtelis Riesenapotheke, aber das würgte ihn derart, dass er sich fast ins Halszäpfchen biss, und dann riet der Eduard: Am besten wirke zehn Minuten Handstand.
    Der Wrigley probierte auch das. Wir hielten ihn oben so lange an den Schuhen, bis er unten violett war, dann stand er auf, wartete eine Weile, blieb still, und nach weiterer Probezeit fing er an zu strahlen und rief:
    «Es ist wegge — hucks!»
    Und schon war es wieder beim alten.
    Und er gluckste in Langenthal, er gluckste in Burgdorf. Er gluckste in Zollikofen, und das erste, was er in Bern mit ernstlächelnder Duldermiene unseren Eltern sagte, war ein läppisches:
    «Hupp!»
    Was wunder, als uns die empörte Verwandtschaft den Märtyrer trotz unseres Augenaufschlags nicht abkaufte.
    Die vereinigten Väter versicherten uns, jetzt hätten sie genug von uns, und es bleibe ihnen nichts anderes übrig, als noch heute den Kontakt mit einer Besserungsanstalt aufzunehmen. Bloss Bäschtelis Vater neigte beim Anblick seines Söhnchens zur Milde, und auf seine Fürsprache hin beschloss der Elternrat, unsere Einweisung zu verschieben und uns Gelegenheit zu geben, auf dem Weg der Tugend zu wandeln. Die Bedingungen waren hart und grausam, aber wie immer fügten wir uns und taten unser Bestes.
    Der Wrigley zum Beispiel war entschlossen, auf Tante Melanies Zither Stunden zu nehmen, jener Zither, die in ihrem Schranke vom Verblichenen her stand, und mit welcher wir in Stunden, wo sie nicht zu Hause war, hin und wieder Brotklümpchen zur Decke gespickt hatten.
    Der Eduard beabsichtigte, seine freien Stunden mit einer Kakteenzucht sinnvoll auszufüllen.
    Der Bäschteli war ohne uns sowieso ungefährlich und brauchte keine tugendhafte Ablenkung.
    Auch ich ging in mich und entschloss mich auf Wrigleys Rat, ein Buch zu schreiben. Ein sehr, sehr ernstes mit dem schönen Titel:
    «Werde alt! Jungsein ist mühsam.»
    Du siehst, lieber Leser, wir hatten lobenswerte Absichten im Kopf, aber schon der blosse Anfang war schwer.
    Der Wrigley nämlich wurde sein Glucksen nicht los!
    Es verfolgte ihn den ganzen Abend, es rüttelte ihn die ganze Nacht, und am ersten Schultag erschien er mit schwarzen Ringen unter den Augen in der Klasse. Als ihn die anderen fragten, was mit ihm sei, da antwortete er, es sei ganz

Weitere Kostenlose Bücher