Mein Name ist Eugen
Glucksen des Wrigley, während vorne Herr Klameth der Klasse den Erlkönig verleidete. Da fiel plötzlich ein Schatten auf das Papier, und wie ich nachsehe, blicke ich in das Gesicht des Klameth.
Kein Wort!
Bloss ein Griff nach dem Buch, ein Hieb und ein Wurf vor die Türe.
Aus, fertig!
Herr Klameth hatte meine ganze, mühevolle Handschrift beschlagnahmt, und die Folgen konnte ich mir ausdenken, weil ja dieser Deutschlehrer auch ein weniges abbekommen hat in diesem Buch.
Ist das nicht tragisch, lieber Leser?
Du kannst dir nicht denken, wie schwer die letzten vierzehn Tage geworden sind. In einem fort musste ich damit rechnen, vor den Rektor bestellt zu werden, und immer suchte ich in der Erinnerung zusammen, was alles ich eigentlich geschrieben hatte, was mir schaden konnte.
Aber stille blieb’s. Herr Klameth tat, als wäre nichts passiert. Vermutlich hatte er den Roman im Papierkorb versenkt. Das beruhigte mich schon ein wenig, und ich begann, mich in meinem Leben nach anderen tugendhaften Beschäftigungen umzusehen, da lag eines Nachmittags im Briefkasten ein umfangreiches gelbes Couvert mit meiner Adresse. — Wie ich es auftue, ist es meine Handschrift!
Obenauf liegt ein Brief vom Herrn Klameth.
Mit Zittern öffne und lese ich ihn. Lieber Leser, hier ist er:
August Klameth
Gymnasiallehrer
Cäcilienstrasse 55
Bern
Bern, am 13. Mai 1955
Herrn Pfister Eugen,
Herrengasse 9
Bern
Lieber Eugen!
Nicht mit Sicherheit wissend, ob Du diese Zeilen wert bist, setze ich mich hin und schreibe Dir folgendes:
Dein Geschreibsel, das Du wider alle Schulordnung während des Unterrichts verfertigt hast, schicke ich Dir zurück. Ich habe mir allerdings überlegt, ob ich es nicht seines absurden Inhaltes wegen dem Papierkorb übergeben sollte, doch bin ich aus erzieherischen Gründen übereingekommen, es Dir zuzustellen und Dir dazu die nötigen Randbemerkungen zu machen.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass ich als Deutschlehrer alle schriftstellerischen Bemühungen meiner Zöglinge begrüsse und fördere. Nicht aber, wenn dazu meine Deutschstunden missbraucht werden. Meine Empörung über diesen Umstand wirst Du vermutlich Deiner Zeugnisnote entnehmen können.
Wenn nicht alles trügt, hast Du Dir in den Kopf gesetzt, ein Buch zu verfertigen, wie es die Erwachsenen tun. Ein Buch indessen erfordert Reife, Geist, Können und dichterische Sprache. Das alles geht Dir vorderhand — und wahrscheinlich Zeit deines Lebens — ab. Auf den betrüblichen Inhalt will ich vorerst nicht eingehen. Vorab sei Dir folgendes gesagt:
Erstens: Die Sprache ist ungenügend. Nicht einmal als Schüleraufsatz tauglich. Du kannst die ungezählten Fehler selber nachsuchen. Ich habe sie am Rande rot angestrichen. Aber immerhin einige krasse Beispiele: Man schreibt nicht «Kronsequenzen», sondern «Konsequenzen». Es sollte Dir nicht unbekannt sein, dass das Wort aus dem lateinischen «consequor» stammt. Man schreibt nicht Hyschiene, sondern Hygiene. Oder, was inhaltliche Unrichtigkeiten betrifft: Den Schillerstein hat nicht Schiller gestiftet, sondern zu Ehren des Dichterfürsten hat man den ragenden Fels am Urnersee mit einer Inschrift versehen.
Das nur drei kleine Beispiele aus einer Legion von schlimmen Mustern. Dein ganzes Geschreibsel verrät mir, wie unaufmerksam Du dem Unterricht — nicht nur bei mir — gefolgt bist. Du tust Deiner Schule wenig Ehre.
Ich habe für poetische Ergüsse Jugendlicher volles Verständnis. Ich bin jederzeit bereit, ein Auge zuzudrücken. Leider machst Du mir das sehr schwer. Denn sieh, ich kann Dir nun auch nicht mein schweres Missfallen am Inhalt verhehlen. Du bildest Dir offenbar ein, humorvoll zu sein. Humor ist aber etwas anderes, als eine läppische Anhäufung kindischer Bosheiten. Humor ist etwas feines, zartes, herzerquickendes . Davon finde ich in Deinem sogenannten Buch nicht eine Spur. Herunterreissen und lächerlich machen, was andere mit Ehrfurcht erfüllt, ist weder lustig, noch humorvoll. Du findest offenbar die Besteigung des Telegraphendenkmals komisch. Ich nicht. Du findest Gefallen daran, das Sinnbild der Eidgenossenschaft, die Helvetia, in den Dreck zu ziehen. Du hältst es für einen guten Witz, das historische Museum an seinem Eigentum zu schädigen. Das — Ungezähltes mehr — verrät mir eine niedrige Gesinnung. Nichts ist Dir zu erhaben, als dass Du nicht daran Deinen Spott übtest. Deine diversen Bemerkungen über Werke der bildenden Kunst und der Dichtung empfinde ich
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