Mein Name ist Toastbrot (German Edition)
offiziell ein humanistisches Menschenbild propagierte und eine Regelbeschulung von Behinderten zuließ, privat aber nahe an den geistigen Abgründen des Mittelalters stand. Besonders negativ fielen mir die Gastronomen in unserem kleinen Dorf auf. Ich bin jedenfalls bis heute der Überzeugung, dass ein Schuhkarton sensibler und taktvoller als das Gros der Mitglieder dieser Zunft ist. Eines Morgens, als ich nach dem Kirchgang einen Cappuccino in der Dorfschenke zu schlürfen begann, sprach mich die blonde Funzel hinter der Theke offensiv an.
„Sag mal David, warum gehen Behinderte überhaupt aufs Gymnasium?“
„Warum sollten sie das nicht tun?“
„Ja. Ihr bekommt doch so eine Rente von uns Steuerzahlern. Ein Platz am Gymnasium kostet sicher viel Geld und den Platz nimmst du jemand anderen weg, der kein Geld vom Staat geschenkt kriegt.“
„Aber so ein fehlendes Bein beeinträchtigt mich ja nicht geistig. Ich kann ja irgendwann genauso arbeiten und Steuern zahlen und Rente bekomme ich auch keine.“
„Glaubst du, dass dich jemand anstellen wird? Ich hab ja nichts gegen dich, aber wo kämen wir hin, wenn dann irgendwann keine Arbeitsplätze für die Normalen mehr frei sind?“
„Wir kämen da hin, wo wir längst sind und schon immer waren. Zum Glück gibt es nicht nur Menschen wie dich, sonst würden wir Behinderte vermutlich wieder in den Keller gesperrt, wie vor nicht all zu vielen Jahren.“
„Jetzt werde bloß nicht frech. Du musst erst mal etwas von der Welt sehen, danach kannst du so klug daher reden. Ich hab mein ganzes Leben ehrlich für mein Geld gearbeitet und das ist jetzt der Dank. Diese ganzen Sozialschmarotzer, Behinderte,Ausländer und Penner, machen alles kaputt und wir zahlen die Rechnung.“
„Du scheinst ja echt ein ernst zu nehmendes Problem zu haben. Hat man dich zu früh abgestillt, oder ist ein unglücklicher Sturz vom Wickeltisch schuld?“
Es folgte Geschrei, Gezeter und die Ohrfeige, die ich kommen sah, holte mich fast von den Beinen. Ich nahm die leere Cappuccino-Tasse und warf sie mit aller Gewalt ins Gläserregal hinter die Theke, wo einiges zu Bruch ging. Einer der anderen Gäste packte mich an der Jacke und zerrte mich unsanft vors Lokal. Es folgte ein Hausverbot und wie üblich schmerzhafter Ärger zu Hause. So fühlt sich die Ignoranz des Durchschnittsmenschen an. Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der nach Außen Verständnis für das Geschwätz der Wirtin gezeigt hat und doch erleben ich und andere Behinderte diese Situation viel zu oft.
Ich war 13 Jahre alt geworden und bisher hatte ich nie das wohltuende Gefühl einer Umarmung erlebt. Liebe war ein romantischer Gedanke, den ich nur aus Büchern kannte und der von meiner Wirklichkeit Lichtjahre entfernt war. Ich war innerlich gestorben und glaubte ungünstigerweise nicht an ein Leben nach dem Tod.
Nun gab es in der Nähe des Bahnhofs einen kleinen Park, indem sich nächtlich viele Junkies trafen, um sich ihre Entzugserscheinungen wegzuspritzen. Ich schlich mich aus meinem Elternhaus und fand mich bald zwischen einigen Punks wieder, die interessiert mein neues Gesicht einzuordnen versuchten. Kurzerhand fragte ich in die Runde, ob mir jemand eine gebrauchte Spritze schenken würde. Man zeigte mir verwundert die Mülltonne, in der sie ihre Spritzen entsorgten und ich bediente mich.
Am nächsten Tag rammte ich kurzerhand die Spritze in die Schulter von Marcel, der schreiend die Spritze die noch in ihm steckte mit seinen Fingern ertastete. Erstarrt zog er die Spritze aus seiner Schulter und blickte mich entsetzt an. Er schrie auf.
„Das ist die Spritze eines Junkies. Verrecke du Sau!“
Der Auflauf war gewaltig, die Polizei rief einen Krankenwagen der Marcel ins Krankenhaus fuhr und ich wurde wie so oft nach den üblichen Formalitäten nach Hausegebracht. Man kann sich kaum vorstellen, wie schmerzhaft gebrochene Rippen sind. Alle anderen Verletzungen, die an meinem Körper versorgt werden mussten, waren weniger schlimm.
Ich wurde in eine geschlossene Einrichtung eingewiesen, in der man meines absonderlichen Verhaltens Herr werden wollte. Stellt man sich den Menschen als ein Haus vor, bedeutet eine psychische Störung, dass einige Möbel am falschen Ort untergebracht sind und dadurch die Funktionalität des gesamten Hauses eingeschränkt ist. Der Psychiater hat nun die Aufgabe die Möbel zurück an eine sinnvolle Stelle zu bringen. Bei mir war das Haus leer und eine neue Einrichtung ist gar nicht so einfach,
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