Mein Name ist Toastbrot (German Edition)
zu bewerkstelligen.
Nach vier Monaten begann ich zu erzählen und hörte so bald nicht mehr damit auf. Ein junger engagierter Arzt, der auch David hieß, hatte einen Zugang gefunden. Er las mit mir zahlreiche Fachbücher über psychische Krankheiten und erklärte mir schrittweise die Prozesse, die solche Krankheiten auslösen und beeinflussen. Das war die Zeit, in der ich eine ganz andere Seite von mir kennenlernte. Ich war geübt darin, mein Verhalten den Vorstellungen anderer anzupassen, um ein anderer zu sein. Hier taten sich neue Möglichkeiten auf, da ich begriff, dass man diese eigenen schauspielerischen Fähigkeiten sinnvoll steuern konnte.
Meine Akte füllte sich und mein Handeln wurde wenigstens teilweise nachvollziehbar.
Mein Vater wurde angezeigt und musste sich für sein Verhalten gerichtlich verantworten. Er wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und beruflich auf das Abstellgleis versetzt. Die Welt meiner Mutter lag in Scherben. Mein Vater erhängte sich vor sechs Jahren im Keller der eigenen Villa. Erhängen ist wortwörtlich kein sauberer Tod. Während des Sterbens stellt der Schließmuskelapparat seine Funktion ein, was zur Folge hat, dass man sich anpisst und ankackt. Zudem war er nicht mal in der Lage diesen Abgang sinnvoll zu planen. Die Fallhöhe war zu gering, was zum Erstickungstod und nicht zum eigentlichen Tod durch Genickbruch führte. Ein qualvolles Ende. Meiner Mutter erschien ihr Leben in diesem kleinen Dorf nicht mehr lebenswert. Ein durchgeknalltes Kind, einerhängter Ehemann, der ein Schläger war, das passt in keine Dorfidylle. Sie lebt heute in ihrer ursprünglichen Heimat in der Nähe von Berlin und wartet auf ihren Tod.
Nur zwei Monate, nachdem ich in der Klinik angefangen hatte meine Geschichte zu erzählen, bezog ich ein kleines Zimmer bei einer Pflegefamilie in München. Die Regelschule sollte meine Genesung und die Integration fördern und der Umzug in diese neue Stadt bei der Loslösung aus meinem alten Leben helfen. Therapeutisch wurde ich fortan ambulant mit hoher Frequenz begleitet, während mein Verhalten in der Schule akribisch dokumentiert wurde. Das Jugendamt stellte mir einen Sozialbetreuer zur Seite, dem ich den Namen Wüstenrose gab. Er hatte den Auftrag, mein Verhalten zu beobachten, und notwendige Maßnahmen einzuleiten.
Meine Pflegeeltern waren vom ersten Tag an bemüht, mir ein Zuhause zu bieten. Der Sozialbetreuer wies mich wiederholt darauf hin, dass es sehr schwierig gewesen war, für mich eine geeignete Familie zu finden. Die Vorgeschichte schreckte ab und mein Alter vereinfachte die Suche auch nicht.
Meine Pflegemutter Andrea hatte keinen Beruf erlernt und war als Raumpflegerin tätig. Eugen, mein Pflegevater, war Maschinenschlosser gewesen und litt seit vielen Jahren an Multiple Sklerose. Diese Erkrankung führte zu seiner Erwerbsunfähigkeit und zur vorzeitigen Verrentung. Da er gerade mal 41 Jahre alt war, als dies geschah, beschlossen die Beiden als Pflegefamilie Kinder wie mich bei sich aufzunehmen. Auf eigene Kinder hatten sie verzichtet, da sie sich finanziell der Aufgabe nicht gewachsen sahen, langfristig und stabil für Kinder zu sorgen und ihrem eigenen Ideal hierbei zu genügen. Die Erwerbsunfähigkeitsrente und die Kinderpflegesätze reichten aus, um ein Stück ihres Kindertraums zu leben und auch für manches Kind ein paar Träume wahr werden zu lassen.
Ich kann mich an keinen Moment während meiner Monate bei Andrea und Eugen erinnern, in denen ihr Handeln nicht durch Wohlwollen geleitet war. Natürlich haben sie nicht alles richtig gemacht, aber Erziehungsfehler konnte ich unter diesen Umständen unschwer ertragen, da sie kein Ausdruck von Schlechtigkeit, sondern von Menschlichkeit waren.
Nun hatte ich Menschen gefunden, die mich zu lieben versuchten. Von Erfolg war dieser Versuch nicht gekrönt, was nicht zuletzt meinen gescheiterten Bemühungen sie zu lieben geschuldet war. Mein Gefühl fand ich Jahre später in Nietzsches Werk „Menschliches Allzumenschliches“ treffend beschrieben. Sinngemäß schrieb er, dass wir beliebig Handeln, aber nicht willkürlich fühlen können. Wir können uns nur die Handlungen der Liebe versprechen und so für den ewigen Schein der Zuneigung sorgen.
Unser Zusammenleben war bestärkend und voll gegenseitigem Respekt. Oft erschien mir ihr Verhalten zu fürsorglich und rücksichtsvoll, was den Vorteil hatte, dass ich langsam ein Gewissen entwickelte. So viel Sand und keine Förmchen, so viel
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