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Mein Name ist Toastbrot (German Edition)

Mein Name ist Toastbrot (German Edition)

Titel: Mein Name ist Toastbrot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dino Capovilla
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Mütze war nur halb über den Kopf gezogen und sah deshalb sehr witzig aus und ein langer Schal baumelte um seinen Hals.
    Ohne Worte setzte er sich, griff nach Stiften, Kreide und einem Bündel loser Unterlagen. Schon bald hatten sich einige meiner Mitschüler rund um ihn am Pult versammelt und redeten in einem wilden Durcheinander auf ihn ein. Er nickte, notierte, gab kurze Kommentare und blätterte in seinem Papierstapel. Wenige Minuten später erhob er sich, forderte die Schüler beinahe aggressiv auf, an ihren Platz zu gehen und brüllte: „Ruhe“. Allmählich kehrte diese auch ein und sein scharfer Blick blieb an mir hängen.
    „Hallo David. Schön, dass du genau bei uns gestrandet bist. Du kannst mich Herr Kaspar nennen.“
    „Hallo Herr Kaspar.“
    „Was ist dein Lieblingsbuch?"
    „Ähm, ja, gute Frage. Demian, Demian von Hesse.“
    „Gute Antwort. Identifizierst du dich mit Emil Sinclair, oder mit Demian selbst?"
    „Mit Emil Sinclair.“
    „Das war klar. Bei Gelegenheit werde ich dich nach dem Grund fragen.“
    Er griff nach seiner Kreide und begann zu schreiben. Es ging um den Zusammenhang zwischen Exponential- und Logarithmusfunktion, was leider nicht spannend war.
    Einen halben Tag später lag ich in meinem Bett, hatte mir gerade einen runtergeholt und wartete auf den Schlaf. Wichsen half fast immer, gegen die Unfähigkeit einzuschlafen. An jenem Tag nicht. Was war anders gewesen? Ich ging davon aus, dass Herr Kaspar meine Vorgeschichte kannte. Der Rektor hatte angedeutet, dass sich ein Lehrer für meine Aufnahme, aufgrund meiner guten Noten in Mathematik, starkgemacht hatte. Dies war sehr wahrscheinlich Herr Kaspar gewesen, da ich in seiner Klasse war. Trotz meiner Vorgeschichte waren seine Worte unvoreingenommen und nicht wertend gewesen, jedenfalls empfand ich das so. Heute weiß ich, dass es nicht nur die Unvoreingenommenheit war, sondern auch das Interesse, welches er an mir zeigte. Ich gierte nach dem Gefühl, interessant und begehrt zu sein. Dieses Gefühl war mir damals neu und unbekannt. Meine Pflegeeltern waren zwar äußerst bemüht, aber wirkliches Interesse, das mich befriedigt hätte, konnten oder wollten sie nicht aufbringen. Vielleicht lernt man diese Distanzierung in den bescheuerten Fortbildungsseminaren, zu denen sie als Pflegeeltern alle paar Wochen mussten.
    „Eugen, um was geht es denn bei den Seminaren?“
    „Och Junge, lass mal. Irgendein von Alltagsweisheit geplagter abgewrackter Sozialpädagoge erklärt die Welt.“
    „Und wir erträgst du das?“
    „Man erträgt fast alles. Am besten schaltet man auf Durchzug. Manchmal ärgert mich ein wenig, dass die Belehrungen von Leuten kommen, die keine fünf Tage mit eigenen Pflegekindern verbracht haben.“
    „Ok.“
    „Das Unerträgliche ist die Absolutheit, mit der Referenten ihre Luftblasen absondern.“
    „Also würdest du sagen, dass es keine absolute Wahrheit gibt?“
    „Nicht in der der Erziehung, auch wenn es durchaus Ansätze geben mag, die der Wirklichkeit näher kommen, als andere.“
    „Ja, endgültige Wahrheit gibt es nur in mathematischen Theorien. Und gewehrt hast du dich da nie?“
    „Doch, aber das ist lange her. Wenn du beginnst, dich zu wehren, dann schweigen die Dummen und erklären die Aufrechten zu Querulanten. Dann ist es besser aufzuhören.“
    „Es wird aber doch einige geben, die sich nicht von diesem System korrumpieren lassen.“
    „Ja sicher gibt es die?“
    „Und wie erkennt man die?“
    „Das ist einfach. Wer die Dummköpfe gegen sich hat, verdient Vertrauen, wie es schon Sartre treffend auf den Punkt brachte.“
    „Das gefällt mir.“
    „Ach Junge. Was für ein Glück haben Menschen, die Dinge, die sie ignorieren wollen, ignorieren können. Wenn du das gelernt hast, schläfst du besser und sehr viel tiefer.“
    Auch bei den Gruppentherapiestunden, zu denen ich gehen musste, leide ich manchmal wie ein Hund. Ein endloses Geplapper und Geheule und immer wieder dieselben Biographien. In meiner Gruppe sitzt Miriam, Anfang 20, Kotzvariante der Magersucht und soziophobisch. Mit anderen Worten voll bedient. Sozialphobie ist zwar nicht so tödlich wie Bulimie, aber sehr unpraktisch im täglichen Leben. Die Gute traute sich nicht mit anderen Menschen zu sprechen und hat ganz allgemein vor menschlichem Kontakt Angst. Obwohl sie das längst erkannt hat, gibt es für sie keinen Ausweg. Sie glaubte offenbar, dass es irgendwann aufhört, wenn sie die gleiche Geschichte nur oft genug

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