Mein Name ist Toastbrot (German Edition)
erzählt.
„Für alle Neuen, ich bin Miriam. Ich habe keine Freunde, gehe nicht aus dem Haus, weil ich ohnehin niemanden kennenlernen werde.“
„Und warum glaubst du, dass du niemanden kennenlernen wirst?“
„Mein Leben ist uninteressant und ich bin noch uninteressanter. Menschen finden mich lästig.“
„Miriam, lästig sind Menschen, die sich lästig fühlen undhin und wieder auch einer von den anderen.“
„Ich gehöre zu den anderen.“
„Wie möchtest du aber jemanden kennenlernen, wenn du nur zuhause rumhängst?“
„Ich hab es ja versucht. Ich setze mich in ein Café und warte. Nach einer halben Stunde ist mir das zu blöd und ich gehe wieder.“
„Was müsste denn anders laufen, damit du länger bleiben würdest?“
„Mich müsste jemand ansprechen, aber das tut keiner.“
„Keiner sucht deinen Blickkontakt zu dir?“
„Doch, aber die sind entweder weiblich oder zu dick.“
„Wie würdest du denn reagieren, wenn dich zum Beispiel David anzwinkern würde? Der ist weder weiblich noch mollig.“
„Ja, aber David ist auch psychisch krank und das finde ich unerträglich.“
„Hey Prinzessin, jetzt mach mal langsam. Ich bin ein ganz nettes Kerlchen. Mein Geisteszustand würdest du an meinem Zwinkern kaum erkennen können.“
„Doch, denn nur Geisteskranke interessieren sich für mich.“
„Ok, und angenommen, du würdest es nicht mitbekommen, weil sich an diesem Tag ganz viele für dich interessieren und dir liebevoll zuzwinkern?“
„Dann würde das sowieso nichts bringen, weil du ja psychisch krank bist.“
Interessanter war der Krankheitstyp Mirko. Mitte 30, klug, adrett, eloquent und überzeugt, an MS erkrankt zu sein. Irgendwie witzig, wenn ich da an Eugen denke, den eine reale Multiple Sklerose gnadenlos niederstreckt. Mirko liest und studiert unentwegt Bücher und Foren zum Thema MS und kopiert anschließend die Symptome, die er tatsächlich körperlich spürt. Mir ist schon aufgefallen, dass er in den Zwischenpausen beim Rauchen auf einem Bein herumsteht und in unbeobachteten Momenten den Finger-Nase-Test ausführt. Der Hypochonder tut mir leid, nicht weil er an eingebildeten Krankheiten leidet, sondern weil er intelligent genug ist, sein Handeln rational zu durchschauen und immer wieder aufs Neue die Erfahrung macht, schwächer als seine Emotionen zu sein.Irgendwann werde ich ihn zu meinem Pflegevater mitnehmen, vielleicht tut ihm das ja gut. Ob es hilft? Natürlich nicht, am Tag danach hätte er in seiner Vorstellung wahrscheinlich Krebs oder AIDS.
Unser Körper ist das Einzige in dieser Welt, das sich rein durch unsere Gedanken verändern kann. Was wäre das für eine hübsche Fähigkeit, wenn wir willkürlich über sie verfügen könnten.
Mir wurde gesagt, ich habe eine ausgeprägte antisoziale Persönlichkeitsstörung, die durch meine Kindheitserlebnisse verursacht worden sei. In meinem Entlassungsbrief aus der Nervenklinik fand sich folgender Text:
„David erlebte in seinem Elternhaus weder Zuwendung noch Aufmerksamkeit. Der alkoholkranke Vater übte extreme körperliche Gewalt auf den Jungen aus. Er ist nicht in der Lage, eigene Emotionen zu verbalisieren und isoliert sich durch einen Mangel an Empathie zunehmend. Wesentliche soziale Normen lehnt er ab, neigt in Ausnahmesituationen zur Gewalt und verstärkt durch mangelndes Schulderleben.“
Nun kann man sich fragen, warum man mich überhaupt raus gelassen hat. Zum sozialen Wesen kann man nur werden, wenn man als soziales Wesen leben muss. In der Klinik war das nicht möglich. Unter intensiver Betreuung sollte ich mich in diese Gesellschaft integrieren und einfach ganz normal werden. Seit 6 Jahren sitze ich mit vielen Unterbrechungen in Therapiegruppen, wurde tiefenpsychologisch über drei Jahre hin behandelt und habe bis heute etwa 3000 Tabletten an Psychopharmaka geschluckt.
War dieser Aufwand überhaupt gerechtfertigt und bin ich heute geheilt? Die Therapie hat glänzend funktioniert und geheilt bin ich nicht. Ganz schön widersprüchlich? Therapien dauern meistens mehrere Jahre. Unabhängig von medizinischen Bemühungen verändern wir uns andauernd. Beschwerden nehmen ab und Einsichten nehmen zu. Inzwischen gelang es mir, einige Gefühle zu empfinden. Ein bestimmtes Maß an Schuldbewusstsein hatte sich eingestellt. Ich fühlte nicht mehr diese Leere, sondern spürte, dass etwas in mir war, auch wenn ich noch nicht tief genug graben konnte, um dieses Unbekannte freizulegen. Da auch die Zeit vieleWunden
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