Mein Name ist Toastbrot (German Edition)
zusammen mit einer HandvollSchülern rund um einen Tisch, auf dem ein Stapel große Papierbögen, vermutlich von einem Flipchart, lagen. Meinen Plan mehr über ihn zu erfahren konnte ich nun einstampfen, denn mit dem ganzen Publikum war es nicht möglich, das Gespräch in meine Richtung zu lenken. Davon abgesehen sah es nun wirklich so aus, als wollte ich Nachhilfeunterricht. Herr Kaspar lud mich offensichtlich erfreut ins Zimmer ein, wies mir einen Platz zu und fragte mich prompt, was ich machen wolle. Mangels Alternativen nahm ich Platz und griff zu dem Stift, den mir ein Mitschüler zurollen ließ. Herr Kaspar zwang mich mit der Frage, was ich machen wollte, nun auch noch zu einer Lüge, denn das was mir grade durch den Kopf ging, konnte ich nicht so einfach sagen. Als ich darauf keine Antwort wusste, forderte er mich erneut auf und meinte, dass wir schließlich unter uns Pfarrerstöchter seien.
Die Redensart mit den Pfarrerstöchtern kannte ich nicht. Sie besagt, dass unter Pfarrerstöchtern keine Hemmungen notwendig seien. Schließlich gehörten alle zu den Eingeweihten, was sie eng verband. Irgendwie passte die Redensart zu meinen Phantasien, die kurz zuvor ihre Kreise in meinem Kopf gezogen hatten. Heute ist mir natürlich klar, dass er nicht Gedanken lesen konnte und die Redewendung sehr wohl zu dieser Situation passte. Ich stellte eine banale Frage, die er nur belächelte, und die Nachhilfe wieder ihren gewohnten Lauf nahm.
Nach einer halben Stunde Langeweile festigte sich meine Überzeugung, dass ich niemals Lehrer werden könne. Mir schien es schon nach dieser kurzen Zeit unerträglich zu sein immer wieder das Gleiche von vorn erklären zu müssen. Was treibt einen intelligenten Menschen überhaupt an, Dinge, die er selbst offensichtlich bis in Details verstanden hat, anderen zu erklären und dabei bewusst die Tatsache zu ignorieren, dass er ohnehin von den Meisten nicht verstanden werden wird?
Irgendwie hat das etwas von einer Zwangshandlung. Dabei wiederholt man sinnlose Handlungen und ignoriert den eigenen Verstand, der unaufhörlich die fehlgeleitete Emotion entlarvt. Man könnte eine pädagogische Persönlichkeitsstörung als psychisches Krankheitsbild definieren, das regelmäßig zu Burnout und Depressionen führt. Dass ich mit dieser Thesenicht alleine stehe, zeigt der enorme Risikoaufschlag bei Berufsunfähigkeitsversicherungen für Lehrer. Offiziell erklärt man Lehrer natürlich nicht zu Psychos, da vermutlich als Folge die Alleinunterhalter in den Kinder- und Jugendaufbewahrungsstätten ausgingen und sich die Eltern wieder selbst um ihre Kinder kümmern müssten. Egoisten schätzen die altruistischen Helfer, da es insgesamt nur wenige von ihnen gibt, und wollen sich gleichzeitig liebenswert machen, indem sie sich stark hinter das Kind gegen die Lehrer stellen. Schon paradox, dass ich mit meinem Therapeuten zu diesem Schluss kam, obwohl meine eigene Erfahrung dem diametral gegenübersteht. Lange Rede kurzer Sinn, mich störte, dass er sich so angetan um diese Dummköpfe kümmerte, während er mich ignorierte und dies nur, weil ich keine fachlichen Fragen hatte.
Abends dachte ich über meine Möglichkeiten nach, allein eine Nachhilfestunde von Kaspar zu erhalten, was nicht von Erfolg gekrönt wurde. Ich hätte mich dumm stellen können, was ich zum einen auf keinen Fall wollte und was er zum anderen durchschaut hätte, weshalb er auch meine stupide Frage am Nachmittag belächelt hatte. Ich hätte auch mit einem außergewöhnlich schwierigen Problem auf ihn zugehen können. Hierzu hatte er in der ersten Stunde erklärt, dass er den Anspruch an sich selbst hätte keine halbherzigen Antworten auf ihm unbekannte Probleme geben zu wollen. Fragen, die ihm sinnvoll erschienen und im Unterricht entstünden, bearbeite er auf Wunsch zuhause und fertigte einen schriftlichen Erklärungsversuch an, der dann allen zur Verfügung gestellt würde. Dies gelte auch für mathematische Probleme, die über den Lehrplan hinausgingen. Genutzt hatte diese Möglichkeit während der ganzen Jahre niemand.
Da mich diese Gedankengänge in den nächsten Wochen fesselten, ohne dass etwas passierte, entschloss ich mich in die Offensive zu gehen. Um die direkte Konfrontation zu meiden, verfasste ich einen Brief, den ich ihm am Ende einer Unterrichtsstunde in die Hand drückte:
„Hallo Herr Kaspar, ich glaube ich empfinde etwas für Sie und möchte mit Ihnen darüber sprechen. Ciao David.“
Eine Woche später bat er mich
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