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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
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ohne einander zu verletzen oder ernstlich zu ärgern. Meistens jedenfalls. Und wenn doch einer wütend wurde, dann nicht für lange. Meine Mutter klagte darüber, dass meine Sachen immer schmutzig waren, wenn ich mit Jesus gespielt hatte. Natürlich habe ich ihr nicht gesagt, dass wir im Gerstenfeld gekämpft hatten, denn ich fürchtete, sie könnte es uns verbieten.
    Nur ein einziges Mal wurde der Kampf ernst und schmerzhaft und hinterließ ein ungutes Gefühl. Bis heute erinnere ich mich daran. Andreas hatte seinen drei Schülern zur Feier des Schuljahresendes ein besonderes Essen kredenzt, und so war es schon dunkel geworden, als Jesus und ich uns auf den Heimweg machten. Trotzdem nahmen wir nicht den direkten Weg, sondern einen, der uns zu einer Höhle führte. Diese Höhle einmal im Dunkeln aufzusuchen hatten wir schon länger vorgehabt, aber es war verboten, weil Banditen dort womöglich ihre Beute und Waffen versteckten. Ein derartiges Geheimnis zu entdecken konnte uns das Leben kosten.
    Ich kann nicht mehr im Einzelnen rekonstruieren, wie es dazu kam, dass ich diesen Fehler machte, aber ich weiß noch, dass wir gerade den Höhleneingang erreichten, als es passierte. Wir riefen in die Höhle hinein, horchten auf das Echo, das uns Angst einjagte, und warfen Steine hinein, so weit wir konnten. Wir machten uns gegenseitig Mut und feuerten uns an, und dann sagte Jesus etwas, das mich an eine Bemerkung einer unserer Dienerinnen erinnerte. Ohne groß nachzudenken, wiederholte ich, was sie gesagt hatte.
    Die Frau wohnte nicht bei uns, sondern verrichtete nur tagsüber ihre Arbeit; sie stammte aus derselben Straße wie Jesu Familie und kannte diese recht gut. Wenn sie Jesus bei uns antraf, begrüßte sie ihn immer mit einem vertrauten, aber leicht abfälligen Lächeln – ganz anders als die respektvoll zurückhaltende Art, in der sie mich begrüßte. Jesus jedoch verhielt sich ihr gegenüber immer sehr reserviert. Einmal hörte ich sie zu unserer Köchin sagen, »dieser Bursche da, Jesus«, sei nicht Josefs Sohn. Vielmehr sei sein Vater ein römischer Soldat. Sie nannte sogar seinen Namen: Panthera. Josef, fuhr sie fort, habe Maria geliebt, als sie ein junges Mädchen war, aber sie habe ihn zurückgewiesen und sich lieber mit dem Römer vergnügt. Als dieser Römer dann von ihr genug hatte und das Kind nicht anerkennen wollte, das sie im Leibe trug, sei Josef ihr immer noch so zugetan gewesen, dass er bereit war, sie zu heiraten und Jesus als sein eigenes Kind anzunehmen.
    Mir hätte klar sein müssen, dass Jesus gekränkt sein würde, wenn ich diese Geschichte wiederholte. Vielleicht dachte ich, wenn ich die Sache ganz beiläufig erwähnte, würde er merken, dass ich mir nichts dabei dachte und das Ganze ohnehin nicht glaubte. Oder, und das ist wahrscheinlicher, ich plapperte einfach so drauflos, wie Kinder es nun einmal tun. Aber wie auch immer – Jesus reagierte mit blinder Wut. Er griff mich an, schlug mir ins Gesicht, packte mich bei den Hüften und rang mich zu Boden. Es war ein so gewaltiger Ausbruch, dass ich nur eins im Sinn hatte: mich schnell zu befreien und Abstand zu gewinnen. Ich hatte keine Zeit, mich zu orientieren, und wusste nicht, in welche Richtung ich laufen sollte. So war ich unbeabsichtigt ein paar Schritte in die Höhle gerannt, als er mich einholte.
    Dieser Vorgang wiederholte sich zwei, drei Mal, und es dauerte nicht lange, bis wir ein gutes Stück in das schwarze, steinige Loch eingedrungen waren. Unsere Schreie und unser Stöhnen hallten von den Wänden wider, und es klang, als befänden sich noch zwei andere Jungen in der Höhle, ein völlig verängstigter und einer, der so wütend war, als könnte er töten. Immer wieder versuchte ich zu sagen, wie leid es mir tat, dass ich ihn nicht beleidigen wollte und ohnehin nicht glaubte, was die Dienerin gesagt hatte. Er aber ließ mich nicht zu Wort kommen. Er wollte mir wehtun. Einmal, als er mich wieder zu Boden gerungen hatte, zischte er mir ins Ohr, er werde mich töten und meine Leiche in der Höhle liegen lassen, damit ich verrottete oder von Schakalen gefressen würde.
    Ich leistete keine Gegenwehr, dafür hatte ich zu große Angst. Ich versuchte lediglich zu entkommen und mich in Sicherheit zu bringen. Irgendwie gelang es mir, aus der Höhle zu fliehen, aber er holte mich ein, rang mich wieder zu Boden und setzte sich auf meine Brust. Er nahm meinen Kopf, schlug ihn wieder und wieder auf den Lehmboden und sagte, ich sei ein

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