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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
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eingebildetes, nutzloses Reiche-Leute-Kind, der Sohn eines eingebildeten, nutzlosen reichen Vaters und einer unfruchtbaren Mutter. Mein Vater, sagte er, kollaboriere mit den römischen Besatzern, er breche die göttlichen Gebote und halte den Sabbat nicht heilig. Er, Jesus, werde mich vernichten, mich steinigen, bis nichts mehr von mir übrig sei und ich in meinem Blut daliegen würde.
    Inzwischen spielte er mit mir Katz und Maus, und obwohl ich glaubte, dass ich seine Attacken überleben würde, ging der Terror vorerst weiter. Mir tat alles schon so weh, dass ich nicht kämpfen konnte. Es war furchtbar demütigend. Ich erniedrigte mich, flehte und bettelte um mein Leben. Er aber kostete diesen Moment des Triumphes voll aus, zwang mich, Kameldung von der Straße zu essen und seine Sandalen abzulecken. »Iss!«, schrie er, drehte mich um, mit dem Gesicht zur Erde, und zitierte eine Textstelle, die wir bei Andreas gelesen hatten, in etwas veränderter Form: »Die Feinde Israels werden in den Dreck getreten. Staub sollen sie schlucken wie die Schlange und alles, was am Erdboden kreucht. Alle, die je über Israel geherrscht und über Israels Schande frohlockt haben, sollen sterben – Blödmann! Stirb! «
    Am nächsten Tag hatten wir keinen Unterricht, aber ich suchte Jesus und fand ihn auf dem Feld, wo wir oft spielten. Ich weiß nicht, ob er mich treffen und seinen Triumph vor meinen Augen feiern wollte oder ob er dort vor mir sicher zu sein glaubte, weil ich mich an diesem Tag bestimmt nicht blicken lassen würde. So oder so hatte er gesiegt, und nun war es an mir, wütend zu sein. Die Demütigung machte mir am meisten zu schaffen, viel mehr als die Wunden und blauen Flecken. Die Angst, die mich im Dunkeln hilflos gemacht hatte, war mit dem Tageslicht verflogen. Ich wollte Rache.
    Ohne Vorwarnung griff ich ihn an, und er wehrte sich nur halbherzig. Ich warf ihn zu Boden und beschimpfte ihn. Er sei eine Eiterbeule am Hintern eines Beduinen, ein Muttersöhnchen und Streber, er röche wie ein Schafscherer unter den Achseln und ein Krug Kamelpisse dazu. Er hielt sich die Arme vors Gesicht, als ich seinen Kopf und seine Brust bearbeitete und darüber nachdachte, ob ich dasselbe von ihm verlangen sollte wie er von mir – Dung essen, Steine ablecken, Füße küssen. Aber ich fürchtete seine erneute Rache, wenn ich es zu weit trieb.
    »Ich hab doch nie geglaubt, was diese einfältige Frau erzählt«, sagte ich, obwohl ich vermutete, dass etwas daran sein musste und seine Wut darauf hindeutete, dass sogar eine Menge daran war. »Ich will dich nie wiedersehen.«
    Ich stand auf, trat ihm ein letztes Mal in die Rippen, warf ihm eine Handvoll Sand in die Augen und ging. Als ich ein gutes Stück von ihm entfernt war, warf er einen Stein nach mir, der mich am Rücken traf. Ich ging weiter, als hätte ich nichts gemerkt. Ich hatte meine Ehre wiederhergestellt. Unsere Freundschaft war beendet.
    Nun begannen aber die Ferien, und ich hatte niemanden zum Spielen, zumindest niemanden, der so interessant war wie Jesus. Ein paar Tage langweilte ich mich mit Thaddäus und seiner Schwester Judith. Ich bereute den Bruch mit Jesus, wusste aber nicht, wie ich ihn rückgängig machen sollte. Ich stellte mir vor, wie er mit seinen Schwestern und Brüdern und den anderen Kindern aus seiner Straße auf den Flachdächern spielte. Er brauchte mich nicht. Ich zerquetschte ein paar Tränen und warf Steine ins Tal, wo Männer in den Olivenhainen arbeiteten.
    Meine Mutter merkte, dass ich nichts mit mir anzufangen wusste, und ahnte wohl, dass Jesus und ich uns entzweit hatten. Vielleicht suchte sie ihn sogar. Aber ob nun absichtlich oder zufällig – sie traf ihn auf der Straße, verwickelte ihn in ein Gespräch und lud ihn zu uns ein. Er kam auch gleich mit, und wir spielten zusammen, als sei nichts geschehen. Der Kampf und was ihn verursacht hatte, wurde nie wieder erwähnt, damals nicht und auch nicht, als wir Meister und Jünger waren.
    Dennoch habe ich ein paar Dinge, die er im Zorn gesagt hatte, nie vergessen. Von da an wusste ich, dass er meine Familie für Kollaborateure hielt, für Verräter an den Geboten der Thora, denen kein Respekt gebührte. Ich nehme an, dass er und seine Eltern uns tatsächlich so sahen, genau wie später die anderen Jünger.
    Als Jesus und ich zehn waren, nahm mein Vater uns zum Passahfest mit nach Jerusalem. Es hieß, Jesu Vater habe diese Reise früher gelegentlich angetreten, um das Passahfest so zu begehen, wie

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