Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
Vom Netzwerk:
war.«
    »Vielleicht der Judas, der später sein Jünger wurde?«
    Ptolemäus schüttelte den Kopf. »Das ist kaum möglich. Jener Judas, Judas Iskariot, hat Jesus verraten.«
    »Und deswegen ist es nicht möglich?«
    Einen Moment lang dachte er nach. Dann sagte er: »Das möchte ich meinen. Ich glaube, Jesus wusste von Anfang an, wer ihn dereinst verraten würde.«
    Im Schlafe, fern
    der Heimat am Brunnen
    unter Dattelpalmen,
    nachdem ein
    störrisches Kamel ihm
    in die Hand gebissen,
    träumte mein Vater
    von einem jungen Mann
    in weißem Gewand.
    Ungebeten kam er
    zur Hochzeit am
    Ufer des Sees. So
    erzählte er’s mir
    lang danach. Und wie
    er im Mondlicht erwachte
    und Gott in der
    stillen Wüste
    bat, Er möge
    ihm keine Träume
    senden, deren
    Deutung sich verschließe.

Kapitel 9
    Jesus kam zu unserer Hochzeit und hinterließ einen bleibenden Eindruck, obwohl er nur mit wenigen sprach, ehe er sich gleich wieder verabschiedete. Er erzählte Andreas und mir nicht viel von den Essenern – nur dass sie ihm erlaubten, in einer Höhle nahe ihrer Gemeinschaft zu wohnen, dass er viele Stunden am Tag in ihren Gärten arbeite, dass er Schriften in ihrem Skriptorium kopiere, den Brüdern zweimal am Tag vorlese, wenn sie morgens in der Frühe und spät am Abend beim Essen saßen, und dass er essen dürfe, wenn sie ihr Mahl beendet hätten.
    »Reste«, vermutete Andreas.
    »Aber von bester Qualität.«
    »Eine Höhle …«
    »Eine perfekte Höhle. Kühl in der größten Hitze, warm in den kalten Nächten. Und immer trocken.«
    »Hast du ein Bett?«
    Jesus lachte. »Jawohl, Herr Lehrer. Mein Schlafzeug liegt auf einer erhöhten Fläche des Höhlenbodens.«
    »Pass auf, dass du gesund bleibst«, sagte Andreas und drückte seinen Arm. »Du bist furchtbar dünn.«
    »Der Herr ist mein Hirte«, erwiderte Jesus.
    Als Gegenleistung für seine Arbeit erteilten die Brüder ihm Unterricht, und für einige Stunden pro Tag gewährten sie ihm freien Zugang zu ihrer Bibliothek.
    »Bewundern sie dich?«, fragte Andreas. »Wissen sie deine Fähigkeiten zu schätzen?«
    Jesus nahm seine Hand. »Sie wissen deine Fähigkeiten zu schätzen, Andreas. Sie sagen, ich hätte eine exzellente Ausbildung genossen.«
    Das hörte Andreas gern, aber er schüttelte den Kopf und hob eine Hand, als sei er nicht einverstanden. »Wie könnte jemand unseren Jesus nicht gut ausbilden? Deine Augen sind Lampen, deine Ohren Schwämme. Dir entgeht nichts. Du würdest auch von einem Stein lernen.«
    Jesus sagte, früher oder später werde man ihn zu dem Ordensführer bringen, dem er mitzuteilen habe, ob er den Söhnen Zadoks, wie sie sich nannten, beitreten wolle. Falls er sich dagegen entscheide, müsse er von ihnen Abschied nehmen. Doch bis es so weit sei, führe er ein Leben, das von schwerer Arbeit geprägt, aber auch voller Überraschungen und Belohnungen sei.
    »Was lernst du denn bei ihnen?«, fragte ich.
    Er lächelte und sagte: »Wie wenig ich weiß.«
    »Ist das nicht deprimierend?«
    »Nein. Es ist notwendig. Es ist das Tor, das ich durchschreiten muss.«
    »Zur Weisheit? Da hast du wohl recht.«
    »Nein, zur Mystik.«
    Ich war glücklich und verliebt, genoss unser wunderbares Hochzeitsmahl und den guten Wein und blickte hoffnungsvoll in die Zukunft. Für Mystik war da kein Platz. »Verschone mich damit«, sagte ich.
    Er lachte und verstand. »Deine Zeit für Mystik kommt vielleicht noch«, sagte er. »Oder bist du so gesegnet, dass du sie nicht nötig hast? Fürs Erste bist du jedenfalls fein raus.« Er boxte mich freundschaftlich auf den Arm. »Ich aber auch. Auf Wiedersehen, ihr zwei.«
    Andreas küsste ihn zum Abschied. »Mein lieber Junge! Kehre bald zu uns zurück!«
    Jesus entfernte sich und winkte noch einmal. Dann merkte er, dass er etwas vergessen hatte, und kam wieder zurück, allerdings nicht zu uns, sondern zu Judith, die ganz in der Nähe stand. Er legte seine Hände auf ihre Arme und sah ihr ernst ins Gesicht. »Grüße deinen Bruder von mir. Und kümmere dich gut um meinen Freund hier. Er hat es verdient.«
    Judith war ganz verdutzt und sagte, sie wolle sich Mühe geben. Als Jesus wieder gegangen war, rief sie ihm nach: »Viel Glück!« Dann kam sie zu mir und nahm meine Hand. Zu dritt sahen wir ihm nach, wie er den Hügel erklomm. Als er den Gipfel erreichte, warteten wir darauf, dass er sich noch einmal umdrehte und uns zuwinkte, aber er blieb nicht stehen und drehte sich auch nicht um, sondern verschwand auf der anderen

Weitere Kostenlose Bücher