Mein Name war Judas
zu deiner Wortgewalt.«
Ernst beugte er den Kopf. »Es ist nicht meine Wortgewalt, sondern die des Herrn«, sagte er, und ich hatte den Eindruck, dass seine Bescheidenheit – genau wie mein Kompliment – nicht gänzlich falsch war.
Als er sich an den Tisch setzte, um die Mahlzeit einzunehmen, die Elektra ihm zubereitet hatte, fragte ich nach der Hochzeit, bei der sich das Wunder zugetragen hatte: War er dabei gewesen? Hatte er es selbst gesehen? Hatte er von dem Wein getrunken?
Nein, sagte er. Das sei vor seiner Zeit als Jesusanhänger gewesen, aber er habe oft davon reden hören. Der Jünger Johannes, dessen Bruder Jakobus und ihr Vater Zebedäus hätten den Fisch für das Hochzeitsmahl geliefert, und aus diesem Grunde seien sie zufällig noch anwesend gewesen, als es geschah, allerdings irgendwo im Hintergrund, wo die Dienstboten sich aufhielten.
»Interessant«, sagte ich. »Was weißt du noch darüber?«
Er sagte, er habe dem, was er auf dem Marktplatz berichtet hatte, wenig hinzuzufügen, aber er schilderte mir noch einmal das Fest, so wie es ihm von den damals Anwesenden berichtet worden war – die ländliche Umgebung, die Gäste, die im Schatten eines weinumrankten Spaliers zu beiden Seiten einer langen Tafel saßen, Braut und Bräutigam in der Mitte, eingerahmt von der Mutter des Bräutigams auf der einen und dem Vater der Braut auf der anderen Seite. Er sagte, Maria und Josef seien Freunde des Bräutigams gewesen, aber niemand habe Jesus erwartet, der zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr in seinem Elternhaus in Nazareth wohnte. Er sei auch erst später dazugekommen, ganz in Weiß gekleidet, und habe alle mit seinem Erscheinen verblüfft.
»Dann bemerkte jemand, dass der Wein zur Neige ging«, fuhr Ptolemäus fort. »Er war erst an dem Morgen geliefert worden und trotzdem schon alle.«
Ich fragte, wie das passieren konnte, wer zu wenig davon bestellt habe.
Er schüttelte sein Haupt. »Wer weiß? Wie passiert so etwas? Fehler werden überall gemacht.«
»Eine Katastrophe.«
»Ja. Wenn Jesus nicht gekommen wäre.«
»Und die Familie konnte sich das Ganze nicht erklären?«
Der blinde Mann legte den Kopf schräg und runzelte die Stirn, als habe etwas in meiner Stimme ihm verraten, dass ich seine Geschichte nicht wirklich glauben konnte und wollte. »Nein. Es war ein Wunder. Ein wahres Wunder. Und nur das erste von vielen.«
Ich fragte, warum ausgerechnet Jesu Mutter bemerkt habe, dass der Wein knapp wurde.
»Maria war eine Frau, der so schnell nichts entging.«
Das stimmte allerdings, und ich verzichtete auf die Frage, wie sie das von ihrem Platz an der langen Tafel aus sehen konnte. »Aber die Diener«, hakte ich nach. »Warum nahmen sie Befehle von einem Fremden an, von einem Gast, der, wie du sagst, weder eingeladen noch erwartet worden war?«
»Weil, mein guter Idas«, erwiderte Ptolemäus streng, »Jesus von Nazareth eine natürliche Autorität besaß und ihm niemand zu widersprechen wagte. Wenn er predigte, glaubten ihm die Menschen. Wenn er ihnen etwas befahl, gehorchten sie.«
Das war ein unmissverständlicher Tadel. Eine Weile saßen wir schweigend da. Ptolemäus strich mit der Hand über die Tischplatte und tastete nach einem Stück Brot und der Schale mit Humus, die meine Schwiegertochter aufgetischt hatte. Er rollte das Brot mit dem Humus zusammen und führte es zum Munde. Ich wollte nicht weiter in ihn dringen, aber eine Frage musste ich ihm noch stellen.
»Wie lautete der Name des Bräutigams?«
Ptolemäus schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht genau.«
»Du sagtest, es sei ein Freund aus Jesu Kindheit gewesen.«
»Sagte ich das? Ja, vermutlich hast du recht.«
Ich sagte: »Ich habe diese Geschichte schon einmal gehört.«
»Es ist keine Geschichte , Idas!«
»Ich meinte: diese wahre Geschichte.«
»Du hast sie schon einmal gehört?«
»Von einem anderen Prediger. Du bist nicht der Erste, der Jesu Botschaft in diesen Teil der Welt trägt.«
Ptolemäus nickte. »Nicht der Erste und nicht der Letzte. So soll es sein, und Gott wird die Ohren der Zuhörer öffnen.«
»Dieser andere Prediger … Es muss einige Jahre her sein, dass er hier durchzog. Wie du war er ein beredter Mann und machte seine Sache gut. Er glaubte sich zu erinnern, dass der Name des Bräutigams Judas war.«
Plötzlich blickte Ptolemäus nicht mehr so ablehnend drein und wurde wieder zugänglicher. »Ein recht häufiger Name, aber ich glaube nicht, dass sein Name Judas
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