Mein Name war Judas
hinaus. Ich sehe den Glanz des Paradieses, eine leuchtende Stadt, die mich am Ende meines langen Weges erwartet. Das sehe ich, weil ich glaube. Und ich glaube es, weil ich es sehe. Wir brauchen nur zu glauben, meine Freunde, um uns vom Schrecken des Todes, von unserer Endlichkeit zu befreien.«
Ich spürte, wie die Menge auf diesen eindrucksvollen Appell reagierte. Nur zu gut kannte ich die Rhetorik, die dahintersteckt, und die Gefühle, die sie auslöst. In meinen jungen Jahren hatte ich derlei oft erlebt. Ich wusste, dass die Abwesenheit von Gründen oder Beweisen keine Rolle spielte, wenn es darum ging, an ein Leben nach dem Tode zu glauben. Das Gleiche gilt für die Bereitschaft, an die Wunder zu glauben, von denen der Evangelist berichtete, denn sie bilden die Grundlage für den Auferstehungsglauben. Die Leute, die sich hier auf dem Marktplatz versammelt hatten, waren zumeist arm, hungrig und unglücklich. Sie wollten glauben, und dieser Wille war bei vielen so stark, dass sie es tatsächlich taten.
Doch Ptolemäus war noch nicht fertig. »Ich spreche von Wundern«, fuhr er fort, »die in einem letzten, dem größten von allen gipfeln, der Auferstehung. Doch wie hat es angefangen? Welches war das erste Wunder? Ich will es euch sagen. Ich will euch von einem erstaunlichen Ereignis berichten, das das Ganze ins Rollen brachte, sozusagen in Richtung Ewigkeit.
In Galiläa fand eine Hochzeit statt. Jesu Mutter, Maria, und Marias Mann, Josef, waren unter den Gästen. Jesus selbst stieß erst später dazu, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob er überhaupt eingeladen war …«
Ptolemäus erzählte seine Geschichte nach allen Regeln der Kunst. Wie Maria bemerkte, dass der Wein zur Neige ging, wie Jesus sie zurechtwies, als sie die Fassung verlor und jammerte, das ganze Fest sei nun ruiniert, wie er die Sache dann selbst in die Hand nahm und der Dienerschaft befahl, die Krüge mit frischem Wasser zu füllen und den Gästen davon nachzuschenken.
»Maria hatte recht«, sagte Ptolemäus. »Das Fest wäre ruiniert gewesen, die Gäste enttäuscht und die Eltern von Braut und Bräutigam beschämt. Was aber wurde aus dem Wasser, das sich nun in den Weinkrügen befand? Wein, meine Freunde. Wein! Aus bester Lage. Das Fest war ein großer Erfolg, die Gäste bekamen nicht einmal mit, dass es überhaupt ein Problem gegeben hatte.
Warum, frage ich euch, hat Jesus seine geheimen, heiligen Kräfte gerade in diesem Moment genutzt? Die Antwort liegt auf der Hand: Dem Herrn ist das Band zwischen Mann und Frau heilig, Er wollte dieser Ehe seinen Segen schenken – und nicht nur dieser, sondern jeder Ehe, bis in alle Ewigkeit.
Es gibt aber noch eine zweite, eine wichtigere Antwort. Es war das erste Wunder, das Jesus vollbrachte, und genau wie sein letztes hatte es eine besondere Bedeutung. Dieses Wunder, meine Freunde, vollbringt er für jeden von euch, egal wie schwer euch das Herz sein mag, egal welche Sünde euer Gewissen drückt. Er verwandelt das Wasser eures Lebens in Wein. Und was verlangt er dafür? Nur dass ihr eure Sünden bereut und glaubt, dass er für euch am Kreuz gestorben ist. Glaubt und lasst das Wasser eurer sterblichen Tage zu Wein werden, der ewig fließt.«
Ptolemäus endete mit einem Gebet, das er laut und deutlich sprach – eine Version des Kaddisch, das Jesus uns zum Abschied beigebracht hatte. Als die Menge sich zerstreute, nahm Reuben die bescheidenen Gaben entgegen, die der eine oder andere für den Prediger bereitgehalten hatte, während Ptolemäus neben einem Maultier im Staub kniete und schlürfend aus dem Wassertrog trank, leise betete und die Sohlen seiner zerschlissenen Sandalen gen Himmel richtete, genau wie seine blinden Augen.
Es war, wie ich gegenüber Theseus einräumen musste, ein rührender Anblick.
Ptolemäus ist Gast in meinem Haus, und ich bringe es nicht übers Herz, ihn wegzuschicken. Ich will es auch gar nicht. Als er zum Abendessen nach Hause kam, erzählte ich ihm, dass Theseus und ich seine Predigt gehört hatten. Er erwiderte, Reuben habe es ihm schon gesagt, und er fühle sich geehrt, dass wir ihm unsere kostbare Zeit gewidmet hätten.
»Tu nicht so bescheiden«, sagte ich. »In Wirklichkeit hältst du deine Botschaft für so wichtig, dass jedermann ihr seine kostbare Zeit widmen sollte.«
Er lächelte. »Ja, natürlich. Trotzdem danke fürs Zuhören.«
»Es war …«, begann ich, unterbrach mich aber gleich wieder. Ich wollte ehrlich mit ihm sein. »Ich gratuliere dir
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