Mein Name war Judas
starrte er mit feurigem Blick auf die Judäer hinab. »Meinst du, ich hätte deine lächerlichen Waschschüsseln und die Handtücher nicht gesehen? Meinst du, mir sei ein Versehen unterlaufen?«
»Es tut mir leid«, sagte Levi. »Das hätte ich nicht sagen sollen.«
Doch Jesus war nicht mehr zu bremsen. »Euch Pharisäern geht es immer nur um Äußerlichkeiten. Um Form statt Inhalt. Und doch glaubt ihr, wie ich, ans ewige Leben. Meint ihr, ihr kommt in den Himmel, wenn ihr nach strengen Ritualen speist und euch wascht? Meint ihr, der Herr zieht eure gewaschenen Hände diesen hier vor?« Er zeigte auf Jakobus und Johannes, deren Hände vor Wut zu Fäusten geballt waren. »Hände, die schmutzig und schwielig sind von harter Arbeit? Meint ihr, reine Becher und Töpfe zählen mehr als reine Herzen und Gedanken? Was seid ihr, Heuchler oder einfach nur Dummköpfe?«
Dann drehte er sich um und ging auf die Pforte zu, die direkt auf die Straße führte. Stumm und fassungslos saßen Levi und seine Freunde da. Ich signalisierte meinen Gefährten, dass wir Jesus folgen sollten, und führte sie zu der Pforte. Im letzten Moment drehte Johannes sich noch einmal um und ging in den Innenhof zurück. Mit einer ausladenden Armbewegung wischte er die Waschschüsseln von der aufgebockten Holzplatte. Sie krachten auf die Bodenkacheln, und das Wasser ergoss sich über den Innenhof.
Warum ging ich
mit, das letzte,
verhängnisvolle Mal?
Wollte ich das
Ende selbst
mit ansehen?
Oder war ich
auf ein
Spektakel aus?
An uns war nur
glanzvoll, was
er ausstrahlte.
Schön, wenn einem
hübsche Mädchen
applaudieren!
Welche Gefahr aber,
der Beschützer des
Gottessohns zu sein!
Kapitel 18
Lazarus, Maria und Martha erwarteten uns schon in Betanien. Aber auch viele andere. Lazarus hatte unser Kommen angekündigt, und aus seinem Munde hatte es Gewicht, denn er war ja »von den Toten auferweckt« worden, wie sich die Leute erzählten, manche überzeugt, andere spottend, und verbreitete nun selbst Jesu Botschaft. Auch seine Schwestern hatten überall in den umliegenden Dörfern auf ihre stille Art bekannt gemacht, dass der Prophet von Nazareth auf seinem Weg nach Jerusalem, wo er das Passahfest begehen wolle, in Kürze bei ihnen Station machen werde.
Um uns scharte sich eine stetig anwachsende Anhängerschaft, ein bunter Haufen von Enthusiasten, deren Glaube Jesus Mut und Kraft gab, wie auch seinen Jüngern – außer einem. Damals zweifelte Thomas noch nicht. Auch Petrus hatte Jesus noch nicht verleugnet. Und wenn Judas ihn dereinst verraten sollte, so in dem Sinne, wie ich schon sagte, weil er nicht die ungetrübte Freude von Jesu Gefährten teilen konnte, ihr Vertrauen darauf, dass der Einzug ihres Anführers in Jerusalem ein einziger Triumph sein und Israel danach einer neuen Blüte entgegengehen werde. Es war, als käme ein Zirkus in die Stadt – der Zirkus des Menschensohnes.
An diesem Abend wurde für etwa zwei Dutzend Menschen ein Fest gegeben: Jesus und die zwölf, Maria Magdalena und die drei oder vier Frauen, die sich uns vor einiger Zeit angeschlossen hatten, sowie Lazarus, Maria und Martha und ihre engsten Freunde und Unterstützer in Betanien und Betfage. Es fand in einem großen Zelt statt, aber auf dem Feld davor kampierten viele andere, die sich in kleinen Gruppen um ein Feuer setzten und aßen, sangen, redeten, beteten und tanzten. Ich behielt meine Befürchtungen und Zweifel für mich und gab mir große Mühe, sie zu überwinden und meinen Glauben zu stärken. Mit zunehmendem Weinkonsum gelang es mir beinahe. Jesus war so gelöst, wie ich ihn seit seinen Anfängen als Prophet und Prediger nicht mehr erlebt hatte, und seine Freude strahlte von ihm ab wie ein helles Licht, das uns alle erleuchtete. Es war, als sei die Menge der Gläubigen, die er benötigte wie andere ein lebensrettendes Medikament, an diesem Abend zur Abwechslung einmal groß genug.
Er war voller Zuversicht, und ich hegte keinerlei Zweifel mehr, dass er trotz der Ausflüchte, die er machte, wenn er auf dieses Thema angesprochen wurde, inzwischen davon überzeugt war, der Messias zu sein, dessen Kommen in den Heiligen Schriften vorausgesagt war und der das auserwählte Volk von Unterdrückung, Armut und Sünde und schließlich auch vom Tode erlösen würde. Seit wann war in seinen Predigten davon schon die Rede? Wie lange hatte ich Augen und Ohren davor verschlossen? Oder lag meine Blind- und Taubheit daran, dass er jedem von uns nur so viel
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