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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
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oder sensationsheischendes Gerede.«
    Das war löblich, und Jesus nahm die Einladung dankbar an, doch machte er nicht den Eindruck, als rechnete er damit, den Rabbi bekehren zu können. Tatsächlich behandelte dieser uns ein wenig von oben herab. Er war höflich, aber sein Mund und seine klugen Augen wurden von einem leicht spöttischen Lächeln umspielt. Ich war mir ziemlich sicher, dass es in den Geschichten, die er über Jesus gehört hatte, vor Wundern und göttlichen Offenbarungen nur so wimmelte.
    Als wir zur verabredeten Stunde bei ihm eintrafen, wurden wir an eine Tafel im Innenhof seines Hauses geführt, der von alten Mauern umgeben war. Zwei Freunde des Rabbis, ein Schrift- und ein Rechtsgelehrter, hatten an der Tafel bereits Platz genommen. Ein Feigenbaum, der in einer Mauernische wurzelte und schief dem Licht entgegenwuchs, überragte die Tafel mit seinem dichten Blattwerk und bildete ein natürliches Sonnendach. Eine Quelle entsprang dem Innenhof, rann zwischen von Grünalgen bewachsenen Steinen einem kleinen Becken entgegen und belebte den Hof mit ihrem leisen Gemurmel. Drei oder vier Öllampen, in eisernen Halterungen an den Mauern befestigt, waren angezündet, obwohl der Abendhimmel noch hell war, als wir uns zu neunt, alles Männer, um die Tafel versammelten. Die Dienerschaft brachte das Essen, und drei Frauen, vermutlich Frau und Töchter des Rabbis, servierten die Hauptgänge.
    Auf einer aufgebockten Holzplatte am Rande des Innenhofs standen Wasserschüsseln mit Handtüchern, aber da Jesus das nicht zu sehen schien oder es ignorierte, folgte ich seinem Beispiel und setzte mich, ohne mir vorher die Hände zu waschen.
    Das Gespräch begann nichtssagend und allgemein und plätscherte während der ersten beiden Gänge seicht dahin. Es ging um rechtliche Fragen der Mosaischen Gesetze, die Jesus möglicherweise aufs Glatteis führen sollten, aber falls das beabsichtigt war, fiel er darauf nicht herein, sondern plauderte ebenso unbekümmert wie belesen drauflos.
    Dann und wann hatte ich das Gefühl, dass er seine Gastgeber positiv überraschte, aber hauptsächlich war mir der Unterschied zwischen den drei kultivierten Herren – unser Gastgeber und seine beiden Freunde – und den vier ungehobelten Fischern mit ihren rauen Händen und ihrem groben galiläischen Akzent bewusst. Dazwischen Jesus und ich, auch aus Galiläa, aber gebildet genug, um im Gegensatz zu den Fischern zu merken, dass die Judäer einen recht überheblichen Ton anschlugen, wenn auch auf subtile Weise. Ich ahnte, wie sie über uns herziehen würden, sobald wir wieder gegangen waren.
    Beim letzten Gang, einer erfrischenden Kaltspeise aus Früchten und Quark, sagte unser Gastgeber mit belustigtem Blick auf seine beiden Freunde zu Jesus, »von allen Seiten« habe er Jesu Redegewandtheit preisen hören, und am Nachmittag habe er sich auf dem Marktplatz selbst davon überzeugen können. Darüber hinaus, fuhr er fort, sei aber allenthalben die Rede davon, dass Jesus noch über weit größere Gaben verfüge.
    »Diese Kraft geht nicht von mir aus«, erwiderte Jesus. »Sie liegt in dem Wort, das ich verkünde.«
    »Immerhin ist sie stark genug, um Wunder zu bewirken«, sagte Levi.
    Jesus reagierte nicht.
    »Wahre Wunder«, sagte Levi.
    Immer noch schwieg Jesus.
    »Kannst du uns diese Kraft nicht einmal vorführen?«, fragte der Rabbi. »Meine Freunde und ich wären sehr geehrt …«
    Jesus konnte sein Missfallen nicht verbergen. »Dienen wir nicht alle demselben Gott?«, fragte er. »Wenn du Ihn brauchst, rufe Ihn an. Rufe Ihn an, und wenn Er dich hört, deine Not sieht und du Seiner würdig bist, wird Er dir helfen.«
    »Vielleicht bin ich Seiner ja nicht würdig«, sagte Levi amüsiert.
    Jesus starrte auf seine Hände.
    Der Rabbi gab aber nicht auf. »Ich verfüge nicht über die Kräfte, die man dir zuschreibt. Willst du sie uns nicht vorführen, damit auch wir daran glauben können, so wie …«, er zeigte auf die vier Fischer, »… so wie diese Kerle?«
    Jesus wurde rot vor Zorn und musste sich sichtlich beherrschen. »Ich führe keine Zaubertricks vor«, sagte er langsam und grollend. »Ich bin ein Prophet.«
    »Ein Prophet, der sich vor dem Essen nicht wäscht?«
    Wir waren schockiert. Die ganze Zeit hatte Levi mit Bedacht gesprochen und es darauf abgesehen, seine Freunde zu belustigen, aber diese Bemerkung schien ihm ungewollt herausgerutscht zu sein. Jesus stand so ungestüm auf, dass sein Stuhl krachend zu Boden ging. Dann

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