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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
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durch die Schacherei der Priester und verlassen vom Heiligen Geist sei er nichts weiter als ein Haufen Steine. Steine, die man getrost niederreißen könne. Der Tag, an dem das geschehe, sei nicht mehr fern. Nicht ein Stein werde auf dem anderen bleiben.
    Das sei der Tag des Schreckens, fuhr er fort, der das Ende der Welt ankündige. Nation werde sich gegen Nation erheben, Königreich gegen Königreich. Innerhalb der Nationen und Königreiche gebe es Zwietracht, Rebellion, Bürgerkrieg. Bruder betröge Bruder, Vater betröge Sohn, Kinder stellten sich gegen ihre Eltern und brächten sie zu Tode. Es gebe Hungersnöte und Erdbeben. Die Gräuel und Trostlosigkeit, von denen der Prophet Daniel gesprochen habe, würden Alltag.
    »Seid gewarnt!« Seine Stimme hallte über das steinige Feld und schien die Zypressen zu schütteln, sodass die Fledermäuse herausgeflogen kamen und über unsere Köpfe schwirrten. »Seid gewarnt, meine Freunde! Wenn dieser Tag kommt, und das wird noch zu euren Lebzeiten geschehen, lasset den Mann auf dem Dach nicht nach unten ins Haus gehen, um nachzusehen, welche Schrecken sich dort breitmachen. Lasset den Mann, der auf dem Felde arbeitet, nicht zu seiner Familie nach Hause zurückkehren. Lasset ihn fliehen und sich in die Berge von Judäa retten – und betet, dass es nicht Winter ist, denn wenn es Winter ist, wird es kälter sein als je zuvor.«
    Schweigend starrte er in die Menge. Die Öllampen hinter ihm flackerten, und einen Moment lang sah es aus, als verbrenne er in einer goldenen Flamme. Dann verlosch die Flamme fast, flackerte aber erneut auf, und Jesus fuhr fort: »Es ist die Wahrheit, wenn ich euch sage, dass die Frau, die an jenem Tag ein Kind unter dem Herzen trägt, und die, die ihr Neugeborenes noch stillt, wünschen werden, sie hätten nie geboren. Die Sonne wird sich verdunkeln und der Mond gar kein Licht mehr spenden. Die Sterne werden fallen wie ein heißer Regen, die Himmel werden erschüttert, und dann, meine Freunde, dann …«
    Die Finger so verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten, presste er die Hände an die Hüften. Mit gewölbter Brust und vorgerecktem Kinn schien sich sein ganzer Körper auszudehnen, als schwebe er über uns. Furcht erfasste die Menge, und in diesem Moment empfand ich genau wie sie. Wie alle anderen hielt ich den Atem an.
    »Dann, meine Freunde, wenn ihr dann noch lebt, seht ihr den Menschensohn in all seiner Pracht durch die Wolken schreiten, begleitet von seinen Engeln, die sodann die Würdigen von den Unwürdigen trennen. Wenn zwei von euch auf einem Feld arbeiten, nehmen die Engel nur einen mit, den anderen lassen sie zurück. Von zwei Frauen, die Korn in der Mühle mahlen, wählen die Engel nur eine aus, die andere wird zurückgelassen.
    Himmel und Erde, wie ihr sie jetzt kennt, werden aufhören zu existieren, doch meine Worte, welche die Wahrheit sind, werden bleiben. Macht euch bereit, meine Freunde! Erwartet diesen Tag, er kommt bald . Seid auf der Hut und wartet. Und vergesst nicht, was ich euch gesagt habe. Nur ein Weg führt zum Vater im Himmel. Ich bin der Weg .«
    Glaubt an mich
    und sichert euren
    Platz im Himmel,
    oder sterbt
    und erwartet
    ewige Verdammnis!
    Zuckerbrot und Peitsche,
    der alte Trick,
    er benutzt ihn
    meisterlich,
    Jesus, mein
    alter Freund, der
    uns Sterblichen
    Angst und Schrecken
    macht mit Worten.
    Doch Macht hat
    ihren Preis, den er
    noch zahlen muss.

Kapitel 19
    In dieser Nacht kam kaum einer von uns wirklich zur Ruhe. Jesus selbst war von seinem Auftritt noch so aufgewühlt, dass er stundenlang auf und ab ging. Es war schon nach Mitternacht, als Martha ihn fragte, ob sie ihm noch etwas zu essen kochen solle oder ob ihm etwas Obst und Milch lieber seien. Er schickte sie mit einer unwirschen Handbewegung fort und sagte, schon bei dem Gedanken an Essen werde ihm übel, woraufhin Maria einen Spaziergang im Mondenschein vorschlug. Er sah sie so konsterniert an, als hätte sie unverständliche Worte gesagt. Also zogen sich die Schwestern enttäuscht und wahrscheinlich auch gekränkt in das Zimmer zurück, das sie sich während unserer Anwesenheit teilten. Lazarus saß vorgebeugt in einem Sessel, die Ellenbogen auf die Knie gestützt und die Hände nervös ineinander verschränkt. Er beobachtete Jesus wie ein treuer Hund, konnte ihm aber nicht beistehen und wagte nichts zu sagen. Aus einem der beiden Zimmer, in denen wir zwölf auf dem Fußboden nächtigten, drang jetzt das Schnarchen der Brüder, die Jesus

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