Mein Name war Judas
Tempelpriestern nicht zu spaßen war und Herodes Antipas öffentlichen Aufruhr nicht duldete.
Zurück in Betanien, war Jesus gedrückter Stimmung und ließ sich von Maria Magdalena trösten. Sie setzte sich zu ihm unter das Weinspalier im Garten und hielt seine Hand. Ich gesellte mich zu ihnen. »Wir sollten nach Hause zurückkehren«, sagte ich zu Jesus. »Hier bist du nicht sicher. Das Stadtvolk hat dich bewundert, aber das war gestern. Die Stimmung wird kippen.«
»Wir sind gekommen, um hier Passah zu feiern«, sagte er.
Ich sah Maria Magdalena an. Sie machte einen ruhigen und vernünftigen Eindruck, wie immer. »Sag du es ihm«, sagte ich.
Sie lächelte amüsiert. »Es ihm sagen? Was soll ich ihm sagen? Glaubst du wirklich, du oder ich wüssten etwas, das er nicht weiß?«
So schnell gab ich nicht nach. »Wenn wir jetzt aufbrechen, können wir im Laufe des Abends in Jericho eintreffen.«
Jesus schüttelte den Kopf und wandte sich von mir ab.
Ich ging ins Haus zurück, um mir Unterstützung zu holen. »Überlasse Jesus die Entscheidung«, sagte Philippus, und die anderen stimmten ihm zu. Mein Drang, die Gegend zu verlassen, war für sie nur ein weiteres Indiz für meinen mangelnden Glauben.
Jesus kam vom Garten herein und fragte mich, wie viel Geld wir noch hätten. Ich holte den Beutel unter meinem Schlafzeug hervor und schüttete ihn auf dem Fußboden aus. Jesus starrte auf die Silbermünzen, wie wir alle. Dann zählte er sie. Es waren dreißig Stück. »Nimm alles«, sagte Jesus.
Ich sollte den Speisesaal einer Taverne mieten und eine reichliche, dem Passahfest angemessene Mahlzeit für uns alle im Voraus bezahlen, außerdem eine Übernachtung für alle. Das würde nicht billig sein, denn langsam füllte sich die Heilige Stadt mit Besuchern, die ebenfalls das Passahfest hier verbringen wollten. Das Essen sollte nur für Jesus und uns zwölf sein. Falls es Ärger gab, Festnahmen, eine Schlägerei oder dergleichen, wollte er Maria Magdalena, Lazarus und dessen Schwestern heraushalten.
»Nun geh«, sagte er. Doch ich zögerte, und er sah mich auf eine Art an, dass ich wusste: Er las meine Gedanken. »Wenn du dich jedoch lieber absetzen willst …«
Das wollte ich wirklich, aber ich wusste, dass ich es nicht übers Herz bringen würde. Also sagte ich: »Nur wenn wir alle zusammen gehen.«
Er schüttelte den Kopf. »Das Werk muss vollbracht werden.«
An diesem Abend setzten wir uns in einer der besseren Tavernen Jerusalems zu Tisch, um das einzunehmen, was Ptolemäus und andere Anhänger des Jesuskultes, die Sidon bereisen, oft und gern als »das letzte Abendmahl« bezeichnen. Wahr ist, dass bei diesem Mahl eine düstere Atmosphäre herrschte, obwohl keiner von uns – mit Ausnahme von Jesus vielleicht – wissen konnte, dass es unser letztes gemeinsames Mahl sein würde. Bevor wir uns setzten und die Stimmung ernst wurde, haben wir sogar noch gescherzt und gelacht, genau wie sonst. Die Fischerbrüder prahlten mit den Schäden, die sie im Tempel angerichtet hatten, und mit dem Spaß, den es ihnen gemacht habe, »das Stadtvolk zu vertrimmen«. Matthäus erzählte eine seiner schlüpfrigen Anekdoten aus der Zeit, als er noch als Steuereintreiber unterwegs war. Thomas protestierte und sagte indigniert, solche Geschichten hätten beim Passahfest nichts zu suchen. Alle warteten darauf, was Jesus dazu sagte, aber er lächelte nur vage und tat so, als habe er Matthäus’ Geschichte nicht verstanden. Bartolomäus, den wir nicht mehr gesehen hatten, seit wir aus dem Tempel geflüchtet waren, kam später dazu. Er war ganz außer Atem und trug eine Spange an seinem Gewand, die wir noch nie gesehen hatten. Deswegen zogen wir ihn wegen seines neuen Freundes auf, von dem wir wussten, dass er in Betfage wohnte und Juwelier war.
Er brachte Neuigkeiten mit, die unserem unbeschwerten Geplauder ein jähes Ende bereiteten. Auf der Suche nach uns sei er unter anderem zu Lazarus’ Haus gegangen. Herodes’ Miliz und die Tempelwächter seien aber schon vor ihm dort gewesen und hätten das ganze Haus nach Jesus durchsucht, Türschlösser aufgebrochen und Gegenstände umgeworfen. Lazarus habe ihnen versichert, Jesus und seine Jünger seien nach Galiläa zurückgekehrt, aber er sei sich keineswegs sicher, ob sie ihm geglaubt hätten.
Als er fertig war, sah er Jesus an und erwartete – wie wir alle – eine Reaktion. Aber es kam keine. Jesus nahm den Bericht lediglich zur Kenntnis. Seiner Meinung nach geschah alles nach
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