Mein Name war Judas
Geldwechsler lockten Kunden herbei, indem sie ihre Wechselkurse lauthals herausschrien, an den Verkaufsständen wurde gehandelt, und irgendwo von oben kam der feierliche Chorgesang von Leviten.
Auf Außenstehende mussten wir wie ein wilder Haufen wirken, der von einem Prediger in Lumpen angeführt wurde. Die Szenerie im Innenhof des Tempels hatte nichts Erhabenes oder Schönes, aber alles folgte festen Gewohnheiten. An diesem Ort trafen das Göttliche und das Menschengemachte zusammen und gingen eine sonderbare Wechselbeziehung ein. Die Menschen bekannten sich zu ihren Sünden und boten strafmildernde Opfer dar, Gott akzeptierte diese Opfer und erteilte den Menschen Absolution – genau das Vorgehen, das Jesus in seinen Predigten verurteilte, und nun war er gekommen, es zu beenden.
Seine Energie und seine Selbstgewissheit in diesem Moment waren beeindruckend, während meine Selbstgewissheit in sich zusammenfiel. Ich fürchtete einen Gewaltausbruch und dessen Konsequenzen.
Als Erstes richtete Jesus seinen Zorn gegen die Buden und Tische der Geldwechsler. Ohne ein Wort zu sagen, packte er die Ecke des ersten Tisches, an dem er vorbeikam, riss die Tischplatte von den Böcken und warf sie krachend zu Boden. Seine Anhänger bejubelten die Tat, begannen die Schemel der Händler umzustoßen und alles aus dem Weg zu treten, was ihnen vor die Füße kam. Alles flog durch die Gegend. Münzen aller Art – judäische Schekel, griechische Drachmen und Lepta, römische Denare und Sesterzen – fielen klirrend auf den Steinboden und rollten in alle Richtungen. Geschäftsbücher und -papiere flogen umher und wurden vom Wind durch den ganzen Hof geweht, ehe sie irgendwo liegen blieben und Mensch und Vieh darauf herumtrampelten. Wütende Schreie wurden laut. Aufgeregt liefen die Menschen umher, bückten sich nach dem Geld oder streckten die Hände in die Luft, um die Papiere festzuhalten. Manche krochen den Münzen auf Knien nach, um so viele wie möglich zu ergattern, obwohl sie ihnen nicht gehörten. Streit brach aus. »Das gehört mir.« – »Nein, mir.«
Jesus nahm sich den nächsten Tisch vor und stieß ihn um, dann den nächsten und immer so weiter.
»Das Haus meines Vaters dient einzig dem Gebet«, rief er. »Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht.«
»Räuberhöhle«, riefen seine Anhänger. »Räuberhöhle. RÄUBERHÖHLE .«
Verkaufsstände mit Tauben und anderen kleinen Opfertieren wurden von den Fischern umgestoßen. Die Taubenkäfige sprangen dabei auf, und die Vögel flatterten durch die rauchige Luft davon. Lämmer und junge Zicklein sprangen blökend und meckernd durch die Gegend.
Ich beteiligte mich an alledem nicht. Stattdessen suchte ich nach einem Weg, wie man Jesus aus dem Tempel locken und vor der sicheren Festnahme schützen könnte. Drei oder vier Tempelwächter waren schon dabei, sich in unsere Richtung durchzukämpfen, aber die Menge, die uns umgab, machte es fast unmöglich. Auf halber Höhe einer Steintreppe saß eine Gruppe junger Leviten, sie beobachteten uns und kommentierten das Geschehen erregt. Dann rannte einer die Treppe hinauf, ein anderer zum Haupteingang hinunter, um Hilfe zu holen. Man hatte uns gesagt, die Tempelhüter würden um keinen Preis römische Soldaten in das Heiligtum hereinlassen, aber der Aufruhr war so groß, dass zumindest die Milizionäre des Herodes herbeigerufen würden, deren Unterkunft nur wenige Häuser entfernt lag.
Ich packte Jesus am Arm. Er war so außer Atem, dass er keuchte und sich einen Moment lang auf mich stützte, um wieder zu Kräften zu kommen. »Du hast deine Mission erfüllt«, rief ich ihm zu und versuchte den Eindruck zu erwecken, als sei ich ganz begeistert. »Jetzt müssen wir aber verschwinden, bevor sie kommen und dich festnehmen.«
Er schien nachzudenken.
»Bevor sie uns alle festnehmen«, sagte ich.
Er nickte und rang immer noch nach Atem.
Ich wartete nicht ab, ob er es sich noch einmal anders überlegen würde, sondern schnappte mir Petrus und Andreas. »Jesus sagt, es ist Zeit, das Feld zu räumen, bevor die Miliz eintrifft. Lauft zum Tor.«
Wir dreizehn rückten für unseren Abzug fest zusammen. Unsere Anhänger, sofern sie nicht schon früher das Weite gesucht hatten, schlossen sich uns an, bis sich die Menge in den Straßen südlich des Tempels zerstreute. Als wir den Garten Gethsemane erreichten, waren nur noch wenige bei uns. Alle anderen hatten sich in Sicherheit gebracht, denn sie wussten, dass mit den
Weitere Kostenlose Bücher