Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
Vom Netzwerk:
Gottes Willen.
    Es wurde Lammbraten mit Kräutern aufgetischt. Doch zuerst brach Jesus das ungesäuerte Brot, segnete es und reichte einen Kelch Wein herum, von dem wir jeder einen Schluck trinken sollten. Er stand an der Stirnseite des Tisches und klang so niedergeschlagen, dass wir aufhorchten. Wenn er von uns gegangen sei, sagte er, sollten wir regelmäßig tun, was wir jetzt gerade taten. Fortan solle die Einnahme von Brot und Wein ein heiliges Sakrament sein. Denn das Brot sei sein Leib, der Wein sein Blut.
    Ich sah die anderen an und erwartete, dieselbe Besorgnis in ihren Mienen zu sehen, die ich empfand. Doch ich hatte mich geirrt. Seine schöne Stimme, so klar und sicher, schlug sie in Bann, und ich war der Einzige, der in diesem Augenblick nicht die Gegenwart Gottes zu spüren glaubte. Früher hatte der eine oder andere Zweifel an diesem und jenem gehegt, doch davon konnte in diesem Moment keine Rede sein. Manche hielten die Augen fest geschlossen, andere wendeten sie verklärt zur Decke, wieder andere weinten oder sahen (wie Bartolomäus) unseren Anführer liebevoll oder vertrauensselig an. Jeder gab auf seine Art zu erkennen, wie ergriffen er war, und so schien es mit elf zu eins beschlossene Sache zu sein, dass Jesus von Nazareth der Sohn Gottes war.
    Heute, vierzig Jahre später, weiß ich noch genauso, was Jesus an diesem Abend sagte. Das Düstere, Drohende war verschwunden, stattdessen präsentierte er sich mit dem Charme und der Sanftheit, die mich einst bewogen hatten, Nazareth zu verlassen und mich ihm anzuschließen. Wie damals galten seine Worte auch jetzt den Armen, Unglücklichen, Unfreien und Schwachen. Ihre Zeit, so versicherte er uns, werde kommen. Sein Zorn und die Ankündigung großer Katastrophen und schrecklicher Strafen, die Flammen der Hölle, das Trennen der Spreu vom Weizen, das Heulen und Zähneklappern – nichts von alledem, stattdessen gab er uns Hoffnung und Zuversicht. Er sei, sagte er, einer von uns, ein Gleicher unter Gleichen, nicht unser Anführer. Und wenn es schon Herren und Knechte geben müsse, zöge er es vor, unser Diener zu sein. Er müsse von uns gehen, aber nicht gänzlich, er gehe lediglich heim zu seinem Vater, um einen Platz an Seiner Tafel für uns freizuhalten, für uns und alle anderen, die an Ihn glaubten. Wir sollten uns nicht darüber grämen, was ihm an den folgenden Tagen widerfahren werde, sondern erkennen, dass es das Beste sei. Den Toten werde das ewige Leben geschenkt, und alles, was uns jetzt bekümmere und was wir nicht verstünden, werde mit der Zeit leicht und klar. Wir würden ihn verlieren, doch schon bald würden wir ihn wiedersehen, frisch und lebendig. Es werde Trauer geben, doch die werde sich in Freude wandeln. Der Schmerz, den wir in Kürze empfinden würden, gleiche dem Geburtsschmerz, und die Freude, die ihm folgen werde, gleiche der über eine Geburt. Der Vater liebe uns, weil wir seinen Sohn liebten, deswegen würden unsere Gebete erhört, und wir würden reich belohnt. Es werde jedoch Momente geben, in denen unser Glauben wanke. Einer von uns werde gar leugnen, dass er je ein Jünger Jesu war, und ein anderer werde das Vertrauen missbrauchen, das unter uns herrsche. Doch wenn diese Dinge geschähen, sollten sie unserem Glauben nichts anhaben. Jeder von uns sei nur ein Mensch aus Fleisch und Blut und unterliege daher Fehlern und Irrtümern; entscheidend sei nur, dass wir an ihn glaubten. Glaube sei der Schlüssel zum Himmelreich, und da wir an diesem Abend bei ihm seien, habe jeder von uns bewiesen, dass er diesen Schlüssel besitze.
    In diesem Punkt irrte Jesus. Ich spürte dieselbe Zuneigung zu ihm wie eh und je, und ich bewunderte seine Rede, doch als sein Jünger hatte ich gefehlt. Ich konnte nicht glauben, dass er der göttliche Messias war. Wenn er entschlossen war, sich nicht nur nicht in Sicherheit zu bringen, sondern sogar zu sterben, würde ich ihn niemals wiedersehen – nicht als meinen Freund und auch nicht als Menschensohn.
    Ich würde ihn nicht verraten, aber ich besaß nicht, was er den Schlüssel nannte.
    Gesetzt, dein Freund
    verlangt, du sollst
    seinen Leib essen
    und sein Blut trinken,
    weil er auf dem Weg
    gen Himmel sei –
    und all seine
    anderen Freunde
    stimmen ihm zu,
    fraglos,
    klaglos,
    ehrfürchtig,
    erstarrt, als hielten
    die Sterne selbst
    den Atem an –
    und du weißt,
    die Nägel fürs Kreuz
    liegen bereit …
    dann verstehst du,
    wie es sich lebt
    mit einem
    Traum, einem
    Albtraum, der
    nie

Weitere Kostenlose Bücher