Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
ihr, Maria, noch sehr verbunden sei.
«Aber mir ist sie nicht verbunden. Und Giulia auch nicht. Ich habe die Frau seit fünfzehn Jahren nicht gesehen, und ich werde sie nicht einladen.»
Maria weinte und wies darauf hin, dass Assunta ihr bereits verraten habe, dass sie ein sehr schönes Geschenk gekauft habe, und der Gesichtsverlust für alle Beteiligten sei zu groß, das überlebe sie nicht, und wenn ihr Sohn und seine Frau sie umbringen wollten, dann sollten sie ihr lieber ein Messer ins Herz bohren als ihr die Grausamkeit dieser Scham anzutun. Marco blieb hart. Dann fand die Hochzeit statt, und ich fand sie sehr gelungen.
Nach dem Standesamt ging es in ein schönes Gartenlokal, dort gab es fünf Gänge, und Marcos Freunde sangen ein Lied. Unter den Gästen saß auch eine Dame, die ich noch nie gesehen hatte. Ich fragte Sara, wer das sei, und sie fand heraus, dass es sich um eine gewisse Tante Assunta handelte.
Marco erzählte später, dass er drei Tage vor der Trauung in seinem Kontoauszug eine Gutschrift über zweihundert Euro entdeckt habe, mit der er nichts anfangen konnte, bis er den Verwendungszweck las: «Viele Grüße von Tante Assunta.» Da blieb ihm gar nichts anderes übrig, als sie einzuladen. Maria lächelte den ganzen Tag.
Schaffner, Stäube und Schabefleisch im Speisewagen
Der größte Nörgler der Welt sitzt mir im Speisewagen gegenüber und unterhält sich mit einem willfährig nickenden Opfer. Dem GröNö gefällt nichts, aber auch gar nichts: «Früher haben sie noch in den Münchner Kammerspielen was aufgezeichnet und im Fernsehen gesendet. Aber das gibt es nicht mehr. Wobei: Das wäre ja inzwischen auch schrecklich.» Der andere nickt.
Dann sieht er kurz aus dem Fenster. «Früher war hier alles Feld und Wald. Da haben wir gespielt und Drachen steigen lassen. Und heute: Kein Wald mehr, kein Feld, keine Drachen. Die Kinder lassen sowieso keine Drachen mehr steigen. Die sitzen ja alle nur vor dem Fernseher.» Sein Opfer nickt wieder. Aber stimmt das eigentlich? Lassen Kinder keine Drachen mehr steigen? Der Schaffner kommt vorbei und kontrolliert die Karten. «Die Schaffner sind alle nur noch bessere Kellner, keine Respektspersonen mehr. Da hat man gar keinen Spaß mehr an der Bahnfahrt. Früher haben wir uns vor denen gefürchtet.» Nicknicknick. Ist es gut, wenn man sich fürchtet? Ich mag es, dass die Schaffner von heute verkleidete Menschen sind und nicht wilhelminische Schreihälse mit Zwirbelschnurrbart.
Woher kommt nur diese Sehnsucht nach dem «Früher»? Womöglich daher, dass einem das «Morgen» inzwischen so eine Angst macht. In meiner Kindheit bestand die Zukunft nur aus Europa, wundervollen Erfindungen und der bevorstehenden Besiedlung fremder Planeten. Inzwischen verheißt die Zukunft wenig mehr als Rentenlöcher, Umweltkatastrophen und globale Fettsucht. Da kann man den Nörgler fast schon wieder verstehen.
Neulich unterhielt ich mich mit einer gebildeten Dame über Angela Merkel. Sie sagte, dass die Bundeskanzlerin ihr Angst mache, weil sie als in der DDR aufgewachsene Physikerin so pragmatisch und unsentimental sei. Wenn etwas vergehe – das Urheberrecht zum Beispiel –, dann böte sich dadurch eine Chance für etwas Neues, das sei die mitleidlos pragmatische Haltung der Bundeskanzlerin. Und diese erzeugt beim Wähler Furcht. Das ist nicht schön, muss uns aber auch nicht lähmen, denn immerhin lässt sich jederzeit ein kleiner Funken des Vergnügens aus diesem Alltag schlagen, wenn man nur will.
Unsere deutsche Sprache ist zum Beispiel sehr komisch. Ich kenne eine Amerikanerin, die sich bei jeder Reise über eine deutsche Autobahn über den für Englischsprachige zauberhaften Begriff «Ausfahrt» beömmelt. Die drollige Vorstellung, dass die Autos beim Verlassen der Autobahn gleichsam aus ihr herausgepupst werden, gefällt mir so gut, dass ich beinahe bereit bin, für diesen Spaß eine kleine Maut zu bezahlen.
Und ich habe ein neues Lieblingsekelwort in unserer an Ekelworten reichen Sprache entdeckt. Die Metzgerin hat es mit einem Bon an meine Papiertüte getackert. Auf dem Zettel stand, dass sich in der Tüte zweihundert Gramm «Schabefleisch» befänden. Igitt. Schabefleisch. Klingt wie «Schabenfleisch» oder «Ausschabungsfleisch». Gegessen habe ich es aber trotzdem, denn bei mir heißt es «Tatar», und das klingt köstlich.
Doch bei allem Amüsement über solche Delikatessen der Gegenwart müssen wir uns wohl damit abfinden, dass die Zukunft vielleicht
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