Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
bitte NICHT aus Småland abgeholt werden.» Er rechnete offenbar mit uns. Wir durchliefen noch sämtliche Regalstraßen und gingen dann mit zwei Tüten Teelichtern zur Kasse, damit wir nicht umsonst hergekommen waren. Anschließend aß ich einen Hotdog, dann brachen wir auf Richtung Småland.
«Wir hätten gerne unseren Sohn zurück», sagte ich und legte meinen Ausweis vor.
«Der will hierbleiben», sagte die müde Frau hinter dem Tresen. «Aber ich nicht», sagte ich und durchbrach die Schranke, quetschte mich durch den Blaubeerkorb und machte mich auf die Suche nach meinem Sohn. Ich hörte ihn aus dem Plastikballbecken quietschen. Als ich hinkam, schaute nicht mehr heraus als ein bestrumpfter Fuß. Ich rief: «So, mein Freund, jetzt hab ich dich», und zog daran, worauf sowohl der Fuß als auch das daran hängende Bein sich wie eine Anakonda wanden. Ich zog stärker, fiel ins Ballbecken, kämpfte mit Tausenden von Plastikkugeln und meinem tobenden Kind und zog schließlich einen Sohn aus dem Becken, der obenrum überhaupt nicht aussah wie meiner.
«Lassen Sie sofort Casimir-Merlin los, Sie Schwein», hörte ich eine Frauenstimme brüllen. «Hiiilfe, da will jemand meinen Casimir-Merlin entführen!»
Ich ließ Casimir-Merlin ins Becken zurückplumpsen und beteuerte meine Unschuld, aber die Mutter – Kötbullar in der einen Hand, Vorhangstoff in der anderen – zeterte weiter. Nach einer guten halben Stunde hatten wir die Sache geklärt, denn da tauchte Nick auf, der sich die ganze Zeit in einem überdimensionierten Holzschuh versteckt hatte. Er bekam dann noch ein Softeis, und wir fuhren nach Hause. Als ich die Jacke auszog, fiel etwas auf den Boden. Ein kleiner roter Plastikball. Der gehört nach Småland. Wir müssen ihn zurückbringen. Morgen.
Ich hätte da eine gute Weinadresse für Sie!
Muss man jede Mail beantworten? Ich finde nicht. Nur weil der technische Fortschritt ein seuchenartiges Mitteilungsbedürfnis der Menschheit via E-Mail erzeugt hat, muss man noch lange nicht auf alles reagieren. Ich erhalte zum Beispiel sehr regelmäßig Post von virtuellen Geschöpfen wie Mister Nicolas Roy aus Nigeria, der mir mitteilt, dass ich eine Million Dollar gewonnen habe, oder Mister J. M. Chan aus Hongkong, der mir ein epochal lukratives Business vorschlägt, wenn auch unter dem Vorbehalt, dass ich ihm zunächst 100 000 Euro überweisen soll, damit er sicher ist, dass er mir vertrauen kann.
Mein E-Mail-Programm unterlegt derlei Briefe warnend in grauer Farbe. Man fährt gut damit, diese Post ungelesen zu löschen. Es ist eine Art Menschenrecht und entspricht dem Verfahren, den Telefonhörer nicht abzuheben, wenn man keine Lust auf ein Gespräch hat. Diese Art des Umgangs mit unverlangt eingesandten Geschäftsideen mag zartfühlenden Zeitgenossen ein wenig roh oder wenigstens unhöflich erscheinen, aber die Belästigung durch doofe Spam-Mails ist das auch, und so gleichen sich die Unhöflichkeiten aus.
Doch dann schrieb mir eines Tages Herr B., und er schrieb sehr freundlich. Er schätze meine Arbeit, würde sich freuen, wenn ich mal in seiner Nähe aufträte, und noch mehr freue er sich darüber, dass ich bei ihm sehr günstig Wein aus Rheinhessen bestellen könne. Im Anhang befand sich eine Preisliste. Ich möge mich doch bitte umgehend melden, schrieb Herr B., schon um mir die eine oder andere Preziose sichern zu können. Ich löschte die Mail. Nichts gegen Herrn B., aber ich brauche keinen Wein aus Rheinhessen, auch nicht günstig. Ich betrachtete seine Post als Werbung, und die Sache war für mich erledigt.
Für Herrn B. war sie es keineswegs. Er entpuppte sich als Weinstalker und schrieb dann pro Woche zwei gefühlige Briefe. Dass ich mich nicht rühre, habe wohl damit zu tun, dass er nicht genug über seinen Wein erzählt habe. Das holte er ausführlich nach, schickte Fotos – auch von sich in Gummistiefeln und mit seinem Hund – und vergaß niemals, darauf hinzuweisen, wie sehr er mich schätze.
Ich antwortete nicht. Hat mir mal jemand empfohlen. Nicht auf Stalker eingehen. Sie geben irgendwann enttäuscht auf und verlegen sich auf andere Opfer. Nicht so Herr B. Er schrieb dann, es sei doch jammerschade, dass ich mich gar nicht melde. Dabei könne er sich so gut vorstellen, dass ich hervorragend zu seinem Weißwein passen würde. Das klang nach Kannibalismus. Ich löschte die Mails nicht mehr, aus Angst und für den Fall, dass man eines Tages Beweismittel benötigen würde. Hat mir auch
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