Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
mal jemand geraten.
Herr B. schrieb und schrieb, zwischendurch auch wieder über Wein. Wunderbarer Wein, hochdekoriert und zu sehr fairen Preisen. Bei einer Mindestabnahme von acht Kisten à zwölf Flaschen ließe sich aber selbst daran drehen, im Namen unserer Bekanntschaft. Es sei ihm eine Ehre.
Ich habe dann doch geantwortet. «Lieber Herr B., haben Sie vielen Dank für Ihre sicher guten Angebote. Ich freue mich darüber, dass Sie meine Arbeit mögen, und weiß Ihr Engagement zu schätzen. Dennoch muss ich Ihnen mitteilen, dass ich absolut kein Interesse an Ihrem Wein habe. Nehmen Sie dies bitte nicht persönlich. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Freude an Ihrem Wein und verbleibe undsoweiter undsoweiter.» Sehr höflich, aber bestimmt. Absolut kein Interesse. Ich habe dann nichts mehr von Herrn B. gehört.
Bis eben. Da kam ich nach Hause und checkte meine Mails. Darunter eine von Herrn B. mit dem Betreff «schade!». Ich öffnete sie widerwillig, aber in der Hoffnung, dass er mir nun final aus Rheinhessen zuwinken würde, um sich dann für immer ins digitale Nirwana zu verabschieden. Herr B. schrieb: «Sehr geehrter Herr Weiler, das ist natürlich sehr bedauerlich, dass Sie unseren Wein so gar nicht probieren mögen. Da habe ich Sie wohl ganz falsch eingeschätzt. Ich freue mich aber umso mehr, dass ich Ihnen nun, wo wir so angenehm in Kontakt getreten sind, unsere Marmeladen vorstellen kann. Alles bio, besonders unsere Kirschkonfitüre könnte ich mir sehr gut bei Ihnen vorstellen. Anbei eine Preisliste, Mengenrabatt ist natürlich unter uns beiden eine ausgemachte Sache. Ich freue mich natürlich, bald wieder von Ihnen zu hören. In herzlicher Verbundenheit, Ihr Waldemar B.»
Skandal-Hochzeit in Campobasso
Marco Marcipane hat geheiratet. Er ist der Cousin meiner Frau Sara und der Sohn von Egidio und Maria, vielleicht habe ich schon mal von denen erzählt. Sie leben in einer italienischen Kleinstadt nordöstlich von Neapel, und manchmal fahren wir hin, damit sämtliche Verwandte meinen Kindern in die Wange kneifen und mich mit «Forst»-Bier befüllen können. Egal. Jedenfalls hat Marco jahrelang in Sünde mit seiner jetzigen Gattin Giulia in einer gemeinsamen Wohnung gelebt und nun auch bei der Hochzeit alles anders gemacht, als man dies in Campobasso gewohnt ist.
Nachdem er das Aufgebot bestellt und das Lokal ausgewählt hatte, trafen er und seine Braut mehrere höchst abweichlerische Entscheidungen: keine zwölf Gänge, kein Akkordeonspieler, kein Zauberer, keine Tarantella. Und vor allem: keine Kirche. Als er dies seiner Mutter Maria mitteilte, brach diese unverzüglich in Tränen aus und behielt diesen Zustand über mehrere Tage bei, jedenfalls sobald sie sich in der Gesellschaft ihres Sohnes befand. Ihr Leben sei verpfuscht und sinnlos, klagte sie und bat den ortsansässigen Pater Alfredo um Hilfe und Beistand und ausführliche seelsorgerische Gespräche, in denen sich herauskristallisierte, dass sie Giulia für eine Abgesandte des Teufels hielt und die ganze Trauung mit oder ohne Kirche für einen Riesenfehler. Pater Alfredo riet ihr, in Bezug auf die Hochzeitsplanung ihren mütterlichen Einfluss geltend zu machen, wo es nur ginge. So könne man das Schlimmste verhindern.
Maria schleppte ihren Sohn also zu einem Hochzeitsausstatter, der Marco einen himmelblauen Anzug mit einem ebenso himmelblauen Zylinder empfahl. Marco gab seiner Mutter einen Kuss und kaufte sich woanders einen sehr schönen dunklen Prada-Anzug, den man auch zu anderen Gelegenheiten tragen kann und den Giulia ausgesucht hatte. Maria war entsetzt.
Strategisch viel zu spät fiel ihr ein, die Gästeliste dahingehend zu kontrollieren, ob auch alle wichtigen Personen aufgeführt waren. Und das war nicht der Fall. Ganze fünfundsiebzig Gäste wollten Marco und Giulia dabeihaben. Fünfundsiebzig. Das waren halb so viele wie sonst üblich. Maria identifizierte darüber hinaus zwölf fragwürdige, weil ihr unbekannte Freunde des Brautpaares. Dafür fehlten entfernte Verwandte aus Bari und Foggia sowie diverse Bekannte aus der Stadt und den umliegenden Gemeinden. Sie rief Marco an.
«Was ist mit Assunta?», bebte sie.
«Wer ist Assunta?», antwortete er.
«Deine Tante Assunta», insistierte sie tremolierend. Er antwortete, dass er noch nie von dieser Tante gehört habe, und Maria gab zu, dass es sich nicht im engeren Sinne um eine Tante handele, sondern um eine frühere Nachbarin, die zwar vor anderthalb Jahrzehnten umgezogen, aber
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