Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
seiner stark behaarten Fittiche betrat ich an einem Samstag das Geschäft, in dem es eine eigene Theke für das Ausfüllen der Gewinnscheine und davon wiederum etliche undurchschaubare Varianten gibt.
Antonio zückte seinen Stift. Er spielt grundsätzlich mit seinem eigenen Kugelschreiber, niemals mit dem aus einer Lotto-Annahmestelle. «Und was soll ich jetzt machen?», fragte ich, weil ich Angst hatte zu versagen. «Was kreuze ich jetzt an?»
«Istein Frag von Intuition unde mutige Entscheidung», dozierte mein Schwiegervater und verteilte in drei Zehntelsekunden sechs Kreuzchen im ersten Quadrat. Normalschein, Laufzeit zwei Wochen ohne Glücksspirale, aber mit Super 6 und Spiel 77.
«Wenn ich etwas Falsches ankreuze, ist das Geld weg», jammerte ich. Antonio sah mich daraufhin ernst an, fasste mich an den Schultern und sprach: «Die Zahle, die du anekreuzt, die sinde immer richtig. Die Zahle, die gezogene werde, sinde die falsche.» Dieser Satz ist ein typisches Beispiel für seine Lebensphilosophie. Wenn er verliert, dann hatten die anderen eben das Pech, nicht seine Zahlen gezogen zu haben.
Ich kreuzte vorsichtig zwei Zahlen an. Die 19 und die 33, worauf er mir meinen Schein wegnahm und in seiner Jackentasche verschwinden ließ. «Die diciannove ist ein dumme Salat-Zahl», sagte er. Wegen der vielen Menschen, die ihre Geburtsdaten tippten, komme man bei der 19 zu nichts, wenn man überhaupt damit gewönne. Ich lernte außerdem: Niemals Schnapszahlen wie die 33 ankreuzen, nie die 13, nie die 7, das sind Unglücks- und Glückszahlen, die werden nur von Anfängern getippt. Die Zahlen in den Vierzigern seien auch nicht gut wegen der Geburtsjahrgänge der vielen spielenden Rentner. Ich spürte einen starken Leistungsdruck, schließlich verringerte jede Dumme-Salat-Zahl meine Aussicht auf leistungslosen Reichtum. Also füllte Antonio mein erstes Spiel aus. Für das zweite Quadrat brauchte ich vier Minuten, im dritten kreuzte ich aufs Geratewohl an, was sich gut anfühlte.
Den Rest des Tages verbrachte ich damit, mir auszumalen, was ich mit meinem Millionengewinn anstellen würde. Das war noch anstrengender als die Ausfüllerei. Das viele Geld machte mich unfrei und verzagt, noch bevor ich es besaß. Wie viel soll man spenden, in Gold investieren, auf den Kopf hauen oder an Verwandte weitergeben? Zehn Prozent? Fünfzig? Ich dachte an Lotto-Lothar, der sich einen Lamborghini gekauft hatte und trotzdem am Alkohol zugrunde ging. Mit der körperlichen und geistigen Energie, die Millionen deutsche Lottospieler jede Woche in derartige Gedanken investieren, könnte man den Strombedarf von Las Vegas decken.
Antonio und ich quälten uns durch den Abend, bis endlich die Lottozahlen von einer Drahtschiene aus der sich drehenden Glaskugel gegabelt wurden und gurgelnd in Reagenzgläser fielen. Ich konstatierte, dass ich in meinen drei Spielen insgesamt drei Richtige getippt hatte. Für drei Richtige in einem einzigen Spiel hätte es immerhin 9,70 Euro gegeben. Toni war genau so leer ausgegangen wie ich, aber seine Enttäuschung hielt sich in Grenzen: «Bini Kummer gewohnt.»
Ich ging mit übler Laune ins Bett, die ich nicht gehabt hätte, wenn ich nicht gespielt hätte. Und die ich erst recht nicht gehabt hätte, wenn ich nicht auf Antonio gehört hätte. Die Gewinnzahlen dieses besagten Samstags – Sie können das gerne googeln – lauteten nämlich wie folgt: 8, 13, 19, 33, 45 und 47, Superzahl 7. Kein Witz. Alles drin: Glücks- und Unglückszahlen, eine Schnapszahl, die 19 und zwei Vierziger. Danke, Toni.
In kaputten Socken gegen das Fernsehen anstinken
Das da unten in meinen Strümpfen sind keine Löcher. Das sind Bonusöffnungen. Habe ich meiner Frau schon oft erklärt, wenn sie mich aufforderte, die Dinger wegzuschmeißen. Ich antwortete dann, das könne ich nicht, schließlich machten diese Materialaussparungen den Strumpf erst wahrhaft wertvoll, sie belüfteten den Fuß und seien im Grunde individuelle fraktale Kunststückchen, die sich der perfekten Langeweile eines lochfreien Industriestrumpfes entgegenstellten wie einst Rudi Dutschke dem Wasserwerfer. Sagte ich also zu Sara, und die zeigte mir einen Vogel.
Gut, die Wahrheit ist in weniger kämpferischen Worten: Socken halten bei mir leider nicht sehr lange. Ich ziehe sie an, sie werden gewaschen, ich ziehe sie noch einmal an, und spätestens beim dritten Mal zeigen sich kleinere freie Stellen, an denen Fuß durchschimmert. Von da bis zum Wegwerfen dauert
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