Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
Auslauf, meinte er.
Ich erzählte ihm von der wunderbaren Nagetierabteilung des Baumarktes, und er wollte sofort hin. Er setzte Gimli in eine Transportbox, damit sie probewohnen konnte. Wie bei Ikea, irgendwie. Wir fuhren dann zu WON (World of Nagerheim) und steuerten direkt auf die Tierabteilung zu. Das erste, bereits von weitem sichtbare Nagerheim gefiel Nick sehr und war so groß, dass er bequem selber darin hätte einziehen können. Er wollte es unbedingt haben. Das Modell hieß «Nagerheim Hoppel».
«Nick, wir werden Gimli in diesem Ding niemals wiederfinden. Wir werden nicht einmal merken, wenn sie in den Hamsterhimmel geht», mahnte ich.
«Geht sie ja nicht», gab er bestimmt zurück, und darüber wollte ich nicht diskutieren, das hätte zu weit geführt. Das Argument, dass «Hoppel» mehr auf Kaninchen und Hasen gemünzt sei, überzeugte ihn immerhin. Er lenkte seine Aufmerksamkeit auf das «Nagerheim Toscana», ein aprikosenfarbenes Machwerk mit kleinen Säulen und mehreren Terrassen. Ich sagte nein, denn Gimli soll nicht wohnen wie Bauherren in Brandenburg.
Nick schwenkte auf das «Nagerheim Bonanza» um, danach auf «Celeste», aber ich konnte ihn davon überzeugen, dass er vom ständigen Ansehen dieses scheußlichen rosa Plastikhäuschens mit der Zeit eine posttraumatische Belastungsstörung bekommen würde. Von Gimli ganz zu schweigen. Hamsterkäfige sollten freundlich aussehen, aber nicht viel farbenfroher als das restliche Leben eines Achtjährigen. Nachdem wir einen Verkäufer verschlissen hatten, der sich absetzte und nicht zurückkehrte, entschieden wir uns für das recht funktionale und farblich unauffällige Modell «Alexander», in welchem man mehrere Ebenen einziehen kann, sodass Gimli abwechslungsreich wohnt, aber davon nicht überfordert wird.
Bei der Einrichtung erlahmte Nicks Interesse, er wanderte in die Fisch-Abteilung ab, wo er ein Spongebob-Aquarium entdeckte, das ihm beinahe den Atem raubte. Ob Gimli nicht darin wohnen könnte, fragte er bebenden Herzens. Ich zeigte ihm einen Vogel, denn Hamster können meines Wissens nicht tauchen. Nein, auch nicht, wenn man ihnen einen langen Strohhalm zum Atmen gibt. Nein und abermals nein.
«Dann eben ohne Wasser», bettelte Nick, aber ich finde, Hamster gehören in Nagerheime und nicht in Fischheime. Wir einigten uns nach einer quälenden Diskussion darauf, Gimli zur Probe zwischen den Spongebob-Kram zu setzen. Vielleicht würde sie in spontane Begeisterung ausbrechen. Dies unterblieb zwar, aber Gimli machte auch keine Ausbruchsversuche.
Also erwarben wir das Nagerheim «Alexander» mit der Spongebob-Möblierung des Aquariums. In Gimlis neuem Wohnkomplex hängt also ein Wasserfilter, neben dem Hamsterrad steht eine kleine Palme. Darunter sitzen der Seestern Patrick und sein Freund Spongebob. Gimli besitzt eine Ananas zum Durchschwimmen, eine Schatztruhe für ihr Futter und kann sich in die Nachbildung eines Motorbootes setzen. Sie schläft in einem großen vermoosten Totenkopf aus Plastik, den sie mit Heu und Streu vollgestopft hat. Bisher wissen wir nicht, ob sie sich wohl fühlt, denn wir haben sie seit Tagen nicht mehr gesehen. Ich glaube, sie traut sich nicht raus. Oder sie ist in den Hamsterhimmel gegangen.
Coole Kids kriegen Kahns Kiefer
Wer fährt so spät noch durch Nacht und Wind? Ich bin’s, mit der Spange von meinem Kind. Regelmäßig bin ich seit einiger Zeit abends mit dem Auto unterwegs, um meiner Tochter ihre Zahnspange zu bringen, wenn sie woanders übernachtet. Ich bin ein Spangenbote, ein Knecht des Kieferorthopäden, ein Dentalbüttel. Carla vergisst gerne, ihre Spange vor dem Ins-Bett-Gehen einzusetzen, und ganz besonders gerne vergisst sie sie, wenn sie nicht zu Hause übernachtet. Wie eben am Freitag. Carla hatte beschlossen, bei ihrem Freund Moritz zu schlafen. Die beiden sind zwölf. Es gibt da nichts, was man unbedingt kontrollieren müsste, abgesehen von der Zahnspange.
Carla soll sie nachts tragen, ungefähr seit einem Vierteljahr und auf Anordnung eines autoritären Kieferorthopäden, der uns darauf hinwies, dass nur auf diese Weise hässliche Folgeschäden vermieden werden könnten. Diese sind übrigens vor allem sozialer Natur. Mit schiefen Zähnen kann heute niemand mehr die Welt erobern. Ich bedauerte mein Kind, schließlich gibt es Schöneres, als womöglich jahrelang mit einem halben Pfund Draht im Maul herumzulaufen, aber unser Pubertier brach keineswegs in Heulkrämpfe aus, sondern machte die
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