Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
Antonio und ich jedoch gleichsam abfahren, ist Fußball. Jawohl, ich liebe diesen Sport. Antonio auch, und deshalb konnten wir die Weltmeisterschaft in Südafrika kaum erwarten.
Für ihn begann die WM bereits ein halbes Jahr vor dem ersten Anpfiff, und zwar mit einem Paukenschlag des Frohsinns. Er rief mich im Dezember nach der Auslosung der WM-Spielgruppen an, um durchzugeben, dass die Wä-Emme bereits gelaufen sei. Italien habe praktisch schon gewonnen, die Spiele selbst seien bloß noch Formsache.
Er bezog seine Zuversicht aus der Tatsache, dass Italien soeben in eine Puppigruppe mit Paraguay, der Slowakei und Neuseeland gelost worden war. Besonders die Slowakei löste bei ihm größte Heiterkeit aus, denn was hätten diese Ostblockheinis schon der Tradition des italienischen Fußballs entgegenzusetzen. Auch die Mannschaften aus Paraguay («kennti kein Mensch in internazionale Vergleik») und die der Neuseeländer («von die Arsche dä Welte») weckten bei Antonio keinesfalls Befürchtungen.
Auch ich fieberte ab April dem großen Fußballfest entgegen. Ich freute mich auf alles, was damit zu tun haben würde, sogar auf Ulrich Dattelmann. Seine Tochter geht mit unserem Nick in eine Klasse. Ich habe ja schon verschiedentlich von Dattelmann erzählt. Er hat einmal in der Neujahrsnacht gegen 00 : 23 Uhr die Polizei angerufen und sich über ruhestörenden Lärm beklagt. Die Beamten teilten ihm mit, dass es ein alter Brauch sei, in jener Nacht vermittels Feuerwerk Freude über den Ablauf des alten und Vorfreude aufs nächste Jahr zum Ausdruck zu bringen, und dies sei ihm sicher bekannt, und er möge bitte aus der Leitung gehen, weil es sein könne, dass sich jemand dabei vor ebenjener Freude in die Luft sprenge, und da müsse man als Polizei sauber auf dem Kiwief sein. Vielleicht hat die Polizei es auch anders ausgedrückt, jedenfalls hat Ulrich Dattelmann dann eine folgenlose Dienstaufsichtsbeschwerde in Gang gesetzt. Was das mit der Fußball-WM zu tun hat? Dattelmann wollte tatsächlich jeden verklagen, der sich ihm auf zwanzig Meter Entfernung mit einer Vuvuzela nähern würde. Am Ende hat er aber niemanden verklagt, sondern ist an jedem Spieltag beleidigt in die Berge gefahren, um seine Ruhe zu haben. Hat aber nicht funktioniert, weil es bei uns im Land fröhliche Menschen gibt, die ihre Vuvuzela sogar auf die Zugspitze schleppen, um ihren Mitmenschen etwas vorzutröten.
Worauf ich mich noch freute: Natürlich auf die Hymne und die lässige Vorbeifahrt der TV-Kamera an den Mannschaften samt hektischer Regieanweisungen aus dem Ü-Wagen: «Soooo und jetzt rauf, ganz rauf zu Mertesacker. Und jetzt runter, runter, noch weiter runter, ganz runter zu Marin. Und halb rauf zu Schweinsteiger. Mist, jetzt haben wir Özil verpasst. Oder kommt der noch? Kann mal einer gucken, ob der noch kommt?»
Mich erinnert das immer an das Abschreiten der Ehrengarde bei Staatsbesuchen. Diese Tradition stammt übrigens aus ganz frühen Zeiten, in denen es noch keine Fotos gab, und es ging dabei nicht darum, dem ausländischen Gast seine Armee zu zeigen, sondern der Armee den Staatsgast, damit sich die Soldaten sein Gesicht einprägen konnten, falls sie ihn vor Angriffen beschützen mussten. Die Vorstellung der Mannschaften bei der WM hat eine ganz ähnliche Funktion und dient im Wesentlichen der Vorabidentifizierung von späteren Rotsündern der gegnerischen Mannschaft.
Genau wie mein Schwiegervater freute ich mich zudem natürlich auch sehr auf die italienische Mannschaft, wenn auch aus anderen Gründen als er. Ich finde, die sehen aus wie Comicfiguren, ich gucke sie mir einfach gerne an. Antonio hingegen sieht sie gerne ihren von jedem Schauwert befreiten Fußball spielen. Keine Ahnung, was ihm daran gefällt. Seit Jahren genießt er Europa- und Weltmeisterschaften im Trikot seiner Mannschaft, wobei er das 94er Modell trägt, welches durch einen sonderbaren Kragen und ein irritierendes Muster im azurblauen Grund besticht. Das Ensemble spannt ein wenig, aber schließlich geht es hier um eine Angelegenheit von nationaler Dimension, da stört übertriebene Eitelkeit nur.
Antonios Gattin Ursula – meine hochverehrte Schwiegermutter – guckt übrigens im deutschen Trikot (Modell 2006), und sie traut sich, Gegenpositionen einzunehmen, weil Antonio sich in einer gewissen Abhängigkeit zu ihr befindet, was die Mahlzeiten und die Haushaltsführung angeht.
Götter seien seine italienischen Jungs allesamt, rief er schon Wochen vor
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