Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
dem ersten Match. Und dass sie fraglos ihren Titel verteidigen würden. In der Verteidigung bestünde ohnehin die eigentliche Kunst dieses Sports. Diese Haltung teilt er mit Otto Rehhagel, der die Griechen bei diesem Turnier letztmals trainierte, eine Mannschaft, die sportlich eine Art «Resteplatte Agamemnon» darstellte, um es mal im Jargon griechischer Kleingastronomen auszudrücken.
Worauf ich mich aber am meisten freute: Günter Netzer. Natürlich. Und ich rechnete ganz fest damit, dass er bei seinem letzten Auftritt als Analyse-Charge der ARD die Bombe platzen lassen und zugeben würde, dass er in Wahrheit nur eine riesige plappernde Handpuppe ist mit einem ganz großen Loch im Po. Genau wie Franz Beckenbauer übrigens. Netzer wurde lange Jahre von einem Mitarbeiter des Senders gesteuert, der den Mund und den Rumpf Netzers bewegte. Netzers Worte kamen von Gerhard Delling, der keineswegs Sportmoderator ist, sondern ein recht talentierter Bauchredner, dem aber langsam die Lust an Netzer verging. Die monströse Analysepuppe ist ihm einfach mit der Zeit entglitten. Zu groß geworden. Auch zu laut. Wie eine Vuvuzela. Letztlich hat Netzer dann aber bei seinem letzten Auftritt nichts verraten von dem Loch und dem Mitarbeiter darin und dem Delling.
Aber zurück zu Antonio Marcipane. Für den war die Weltmeisterschaft dann schockierend schnell vorbei. Nach der Vorrunde waren seine Götter draußen und das ganze Spektakel beendet. Basta! Dass auch die Franzosen nicht mehr weiterspielten, war ein schwacher Trost, denn die Franzosen, «die ätte wir sowieso appe geputzt», wie er mit trotzigem Stolz erklärte, nachdem ihm dämmerte, dass es wirklich aus war, also zwei Tage nach Beendigung des Matches seiner Squadra Azzura gegen die Slowakei. So lange brauchte er, bis ihm klar war, dass niemand das Ergebnis anfechten würde.
Seine Vuvuzela stand noch Tage nach der Niederlage stumm auf der Terrasse. Er hatte bis zum Ausscheiden seines Teams nur ein einziges Mal hineingetutet. Augenblicklich erschien der Nachbar zur Rechten wie durch die Gartenhecke diffundiert auf Antonios Grund und forderte die Herausgabe des Blasgerätes. Antonio versprach, nur noch bei Siegen seiner Elf zu tröten, und damit war Ruhe, worüber sich außer Antonio alle freuten.
Er stellte das Ding griffbereit vor dem ersten Match neben seinen Gartenstuhl, um seine Nachbarschaft im Erfolgsfall ins Nirwana zu tröten. Die erste Partie gegen Paraguay gab dazu jedoch keinen Anlass, Antonio buchte das 1 : 1 als Betriebsunfall ab. Immerhin sah er «das Feuer in die Augen brennen». Zeugen schworen, wenn überhaupt etwas in den Augen gebrannt habe, dann sei das dem Grilldunst im Marcipane’schen Garten geschuldet gewesen, aber Toni behielt die Zuversicht, die erst mit dem glanzlosen Unentschieden gegen Neuseeland matte Kratzspuren erhielt. Auch hier lag Italien zurück, um auszugleichen und nichts weiter auf die Beine zu stellen.
Das dritte Match gegen die Slowakei verfolgte Antonio mit einer Anspannung im Gesicht, die in Laborversuchen bei keinem Tier der Welt zu erzielen sein dürfte. Wieder Rückstand, sogar mit zwei Toren, aber dann der Anschlusstreffer durch Di Natale in der achtzigsten Minute, gefolgt vom vermeintlichen Todesstoß durch einen Ostheini namens Kopunek in der neunundachtzigsten. Es stand 1 : 3, aber der großartige Quagliarella schoss in der Nachspielzeit noch ein Tor für die Italiener.
Was danach geschah, das konnte Antonio nicht verstehen. Vor vier Jahren hatte es doch auch geklappt, im Achtelfinale gegen Australien. Da hatte Fabio Grosso im letzten Moment im Strafraum einen Schwächeanfall erlitten, es hatte einen Elfmeter gegeben, und man war ein paar Tage später Weltmeister geworden. Und diesmal? Pfiff der Schiedsrichter einfach ab. Man hatte seinen Italienern praktisch keine Gelegenheit gegeben, sich in der Nachspielzeit der Nachspielzeit noch einmal hinfallen zu lassen. Ein Skandal, das konnte man nicht anders sagen.
Für Antonio war der Fußball als solcher gestorben. Fürs Erste. Er saß nur seiner Frau zuliebe noch weiter vorm Fernseher, wenn Deutschland spielte. Aber er sah nicht hin. Behauptete er jedenfalls. Nach den deutschen Siegen gegen England und Argentinien ließ er sich zu je einem langen schmerzhaften Vuvuzela-Röcheln hinreißen. Immerhin lebt er eben schon ziemlich lange hier.
Auf der Wiesn
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