Mein Offizier und Gentleman
deswegen? „Ich schwöre dir, sie ist nicht meine Mätresse.“
„Warum behältst du die beiden dann hier? Erzähl mir nicht, dir läge nichts an dem Kind! Ich sah, wie du mit ihm spieltest, Jack. Du liebst ihn, er steht dir nahe. Ist er dein Sohn?“
„Ich weiß, man hat dir hinterbracht, dass ich einen Bastard hätte.“ Jack schaute sie unsicher an. „Ich darf dir nicht sagen, was es mit dem Kind auf sich hat. Ich habe mein Wort gegeben, dieses Geheimnis auf ewig zu wahren.“
„Aber ist er dein Sohn? Das kannst du doch bestimmt sagen.“
„Warum?“ Er wirkte plötzlich sehr kalt, stolz und zornig. „Wenn du mich so liebtest, wie du gesagt hast, würdest du mir vertrauen. Dann müsste ich dir nichts enthüllen, dessen Geheimhaltung ich geschworen habe. Du musst lernen, mir zu vertrauen, anstatt mich zu bespitzeln.“
„Ich habe dich nicht bespitzelt. Der Junge hatte mich gebeten, mit ihm zu spielen. Er ist so arglos und hübsch. Außerdem fragte ich mich, warum die Frau mich nicht leiden kann, wenn sie nur seine Kinderfrau ist – und dann sah ich dich dort mit ihm spielen … nachdem du Geschäfte vorgeschützt hattest.“
„Dieses Geschäft bestand darin, Rosa zu erklären, dass ich eine neue Bleibe für sie suche.“
„Um sie zu verbergen und so zu tun, als gäbe es die beiden nicht?“, rief Lucy verächtlich. „Ich hätte akzeptiert, dass du einen Sohn hast; du hättest mir nur die Wahrheit sagen müssen – aber eine Geliebte, die so nah wohnt, dass du sie jederzeit besuchen kannst, werde ich nicht akzeptieren! Du musst wählen – sie oder mich.“
„Muss ich, Lucy?“, fragte er leise und ein wenig gefährlich. „Drohungen wirken bei mir nicht.“ Jäh zog er sie an sich, presste die Lippen auf ihren Mund und küsste sie hart und fordernd. Es war ein schmerzhafter, besitzergreifender Kuss, der ihr den Atem raubte und sie ganz schwach machte. „Ich liebe dich, ich will dich zur Frau, Lucy, aber ich werde mir nicht drohen lassen“, keuchte er, als er sie ebenso jäh wieder losließ. „Werde dir über deine Gefühle klar, denn noch sind wir nur verlobt, und eine Verlobung kann man lösen – aber wenn du mich heiratest, werde ich nicht zulassen, dass du mir Vorschriften machst.“
Er wandte sich ab und schritt ins nächtliche Dunkel hinein, während Lucy, den Tränen nahe, ihm nachschaute. Er war sehr zornig, und sein Zorn hatte ihn verwandelt – in einen Fremden.
In dieser Nacht wälzte Lucy sich schla fl os in den Kissen; ihre Gedanken kreisten immer um das Gleiche – konnte sie Jack wirklich trauen? War der Junge sein Sohn? Würde er sie ständig belügen, wenn sie erst verheiratet waren? Und könnte sie ertragen, dass diese Frau seine Geliebte war?
Irgendwann wurde sie schließlich von Erschöpfung übermannt, doch sie schlief unruhig und fuhr immer wieder hoch, und am Morgen erwachte sie unausgeruht und ganz zerschlagen. Das Herz war ihr schwer, denn ihr ganzes Grübeln hatte zu nichts geführt.
Jack hatte ihr die Wahrheit nicht sagen wollen, doch vielleicht war Rosa nicht so zurückhaltend? Sie musste mit ihr sprechen! Hastig kleidete sie sich an, um fort zu sein, ehe jemand erwachte. Solange dieser Schatten über ihr hing, konnte sie Jack nicht heiraten!
Da der Morgen bedeckt und kühl war, warf sie sich rasch einen wollenen Paisleyschal um die Schultern, dann eilte sie davon, um ihre Vorhaben zu erledigen, ehe es möglicherweise zu regnen begann.
Es kam Lucy überhaupt nicht in den Sinn, dass sie sich noch mehr Probleme aufhalsen könnte. Nach dieser furchtbaren, endlosen Nacht hatte sie nur einen Gedanken – die Wahrheit herauszu fi nden. Sie ging schnell, lief beinahe, von stürmischen Gefühlen getrieben, während sie tief drinnen wusste, dass Jack abermals schrecklich zornig sein würde, wenn er erfuhr, wo sie gewesen war.
Als sie endlich den Witwensitz erreichte, verließ sie fast der Mut; zögernd stand sie am Gartentor und fragte sich, ob sie nicht umkehren sollte. Eigentlich wollte sie Jack doch vertrauen, wollte den Streit vergessen und ganz neu anfangen, aber andererseits konnte sie nicht akzeptieren, was er ihr erzählt hatte. Während sie noch schwankte, trat plötzlich Rosa aus der Tür und ging den Pfad entlang. Kaum sah sie Lucy, hielt sie ein paar Schritt vor ihr inne und fi xierte sie mit kaltem, boshaftem Blick.
„Was wollen Sie?“
„Ich möchte Sie etwas fragen“, sagte Lucy; sie zitterte, aber nicht, weil ihr kalt war. Wäre sie doch nicht
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