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Mein Offizier und Gentleman

Mein Offizier und Gentleman

Titel: Mein Offizier und Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ANNE HERRIES
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Damen lehnten ab, sie fanden, es sei zu heiß draußen.
    „Macht euch keine Sorgen, wenn ich zum Tee nicht zurück bin. Auf jeden Fall werde ich rechtzeitig zum Dinner wieder hier sein.“
    Ohne bewusst diesen Weg eingeschlagen zu haben, fand sie sich nach einer Weile auf dem Reitweg wieder, der jenseits des Sees durch das Wäldchen führte. Weshalb der mysteriöse Witwensitz und seine Bewohner sie so anzogen, wusste sie nicht recht zu sagen, schließlich hatte die Frau sie harsch abgewiesen. Doch etwas schien sie, wie mit einem geheimnisvollen Band, dorthin zu ziehen.
    Wenn der Junge mit Jack verwandt ist und diese Rosa nur seine Kinderfrau, gibt es keinen Grund, warum ich ihn nicht besuchen sollte, sagte Lucy sich. Jack hatte es schließlich nicht verboten. Er mochte nicht erfreut sein, wenn er davon erfuhr – untersagt hatte er es nicht.
    Im Näherkommen hörte sie Stimmen und Gelächter. Der Junge rief etwas mit heller Stimme. Offensichtlich spielte er abermals vor dem Haus, doch schien er nicht allein zu sein. Dann kamen Haus und Garten in Sicht, und Lucy blieb verdutzt stehen. Ein Mann warf das Kind immer wieder hoch in die Luft, und der Junge kreischte vor Freude laut auf – und der Mann war Jack Harcourt.
    Lucy stand und schaute erstarrt zu, zwischen Freude an dem hübschen Bild und Bestürzung hin und her gerissen. Offensichtlich stand Jack mit dem Knaben auf bestem Fuße, man spürte seine herzliche Zuneigung. Unter anderen Umständen hätte Lucy die Szene reizend gefunden, doch Jack hatte sie belogen! Er hatte eine beiläu fi ge Beziehung vorgespiegelt, hatte behauptet, dem Kind einer entfernten Cousine ein Heim zu geben – nur wirkte diese Szene nicht, als handele er aus purer Nächstenliebe. Er hatte das Kind gern, das sah man nur zu deutlich. Es musste sein Sohn sein! Anders konnte sie es sich nicht erklären. Jack hatte sie sogar mehrfach belogen!
    In diesem Augenblick kam diese Rosa um die Hausecke gebogen und erblickte Lucy. Ihre Augen blitzten in einer Art boshafter Befriedigung triumphierend auf. Allerdings machte sie Jack, der Lucy den Rücken zuwandte, nicht auf die Zuschauerin aufmerksam.
    Steif drehte Lucy sich um und ging den Weg zurück. In ihren Augen brannten Tränen, doch ihr Stolz verbot ihr zu weinen. Wie konnte Jack sie nur derart hintergehen?
    In ihrem Kummer bemerkte sie den Fremden nicht, der ein Stück entfernt am Weg stand. Er schaute sehr grimmig drein und beobachtete ebenfalls den Mann, der mit dem Kind spielte. Dann folgte er Lucy, ohne sich ihr zu zeigen, in gleichmäßigem Abstand, bis sie das Seeufer erreicht hatte und ihren Schritt in der Nähe des Hauses beschleunigte.
    José Domingues blickte ihr nachdenklich hinterher, als sie schließlich sogar zu laufen begann und dann im Haus verschwand. Hier geschahen rätselhafte Dinge. So lange hatte er gebraucht, um diesen Ort hier zu fi nden, und nun wusste er nicht, was er tun sollte.
    Lucy ging ohne Umwege in ihr Zimmer. Sie konnte die Tränen kaum zurückhalten, und das Herz tat ihr weh. Jack hatte sie belogen, und nicht nur einmal. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, denn die Entdeckung, dass er nicht der ehrliche, anständige Mann war, für den sie ihn gehalten hatte, schmerzte ungeheuerlich.
    Hätte sie doch nur noch ein wenig abgewartet, ehe sie ihm ihr Jawort gab! Nun hatte er schon die Ankündigung des Verlöbnisses an die Londoner Zeitungen geschickt, was es für sie sehr schwierig machte, den Bund zu lösen. Ein Mann galt als unehrenhaft, wenn er ein Eheversprechen brach, für ein Mädchen war es eine Schande und hinterließ einen Makel. Wahrscheinlich könnte sie sich in der feinen Gesellschaft nicht mehr blicken lassen und würde nie heiraten … aber sie wollte auch keinen anderen als Jack heiraten!
    Als sie erkannte, dass es keinen Ausweg gab und, gleich, wie sie sich entschied, ihr auf jeden Fall das Herz brechen würde, fl ossen endlich die lang unterdrückten Tränen. Sie warf sich auf das Bett und weinte herzzerreißend. Schließlich aber versiegte der Strom, und sie stand auf und wusch sich Gesicht und Augen mit kaltem Wasser. Da ihre Haut wohl noch eine Weile rot und fl eckig bleiben würde, beschloss sie, nicht zur Teestunde hinunterzugehen. Es brauchte niemand zu sehen, wie elend sie sich fühlte.
    Kurz vor dem Dinner läutete sie nach Millie, damit sie ihr beim Umkleiden half. Nach einem Blick in das Gesicht ihrer Herrin fragte das Mädchen besorgt, ob etwas Schlimmes geschehen

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