Mein Onkel Ferdinand
Ersuchen um streng vertrauliche Behandlung der Angelegenheit betrauen wir Sie mit folgender Aufgabe: Die Firma Gustav Graser dortselbst (Liköre und Spirituosen en gros & en detail) hat uns das Angebot gemacht, zur Fabrikation hochwertiger Schnäpse und Liköre ausschließlich unsere bekannten Essenzen zu verwenden, wenn wir ihr einen Kredit zur Vergrößerung ihres dortigen Unternehmens gewähren. Es handelt sich um ein verzinsbares Darlehen von 20 000 DM — in Worten: zwanzigtausend. Wir ersuchen Sie, über obengenannte Firma genaueste Erkundigungen einzuholen, wobei wir Sie dabei ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir auf exakteste Auskünfte Wert legen, insbesondere über den Ruf des Unternehmens, über die Persönlichkeit des Inhabers der Firma, Herrn Gustav Graser, über die bestehenden Fabrikationsanlagen, über die Zahl der Angestellten, über die Umsätze der Firma et cetera pp.... Wir legen einen Verrechnungsscheck über 100 DM — einhundert — als Honorar bei. Möge die ungewöhnliche Höhe der Summe, die wir für Ihre Auskunft auswerfen, Ihnen Beweis dafür sein, wie sehr wir an einer erschöpfenden Auskunft interessiert sind. Wir erwarten Ihren Bericht innerhalb von acht Tagen. Hochachtungsvoll...
»Wieder einmal hundert kleine Hühnerchen im Stall!« rief Onkel Ferdinand und spuckte dreimal zärtlich auf den Verrechnungsscheck. »Auf, auf zum fröhlichen Jagen! Dem Knaben Gustav Graser werden wir mal richtig auf den Zahn fühlen, ob da etwas faul ist im Staate Dänemark. Liköre und Spirituosen — hm — das klingt nicht unappetitlich...«
»Dann alles Gute und viel Erfolg!« sagte ich und erhob mich, um zu gehen.
»Du willst mich also wirklich im Stich lassen, Hermann?« rief Onkel Ferdinand gekränkt, »ausgerechnet jetzt, wo die Wiese grün wird!«
»Dein Beruf ist mir zu gefährlich«, antwortete ich hintergründig. »Und außerdem habe ich in den nächsten Tagen eine anderweitige Beschäftigung, die mich sehr interessiert.«
Onkel Ferdinand sah mich besorgt an und tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Stirn: »Du hast einen Nagel im Kopf, Hermann«, sagte er eindringlich. »Ich weiß genau, was du vorhast. Aber was geht dich unser Freund Murchison und was geht dich das verflixte Mädel an? Er wird eine Stinkwut bekommen, und ich werde es auszubaden haben, wenn er merken sollte, daß du ihm bei dem Mädel Konkurrenz machen willst...«
»Ich mache ihm keine Konkurrenz!« fiel ich ärgerlich ein. »Ich habe keine andere Absicht, als Fräulein Drost zu schützen, falls Murchison eine Lumperei im Sinn hat. — Und im übrigen kannst du ihm ja erzählen, daß du mich aus deinem altehrwürdigen Unternehmen hinausgefeuert hast.«
8
Meine Eltern beruhigte es ungemein, als ich ihnen erzählen konnte, wie lukrativ Onkel Ferdinands Unternehmen sei und daß er sich bereits ein Scheckbuch zugelegt habe. Daß er allerdings über den Gebrauch dieses Büchleins reichlich unklare Ansichten zu haben schien, verschwieg ich lieber.
»Hast du das Scheckbuch gesehen? fragte Vater ungläubig.
»Mit meinen eigenen Augen!« versicherte ich wahrheitsgetreu.
»Vielleicht kommt dein Onkel Ferdinand doch noch zur Vernunft und zu einer achtbaren Stellung im Leben!« sagte meine Mutter mit bebenden Lippen.
»Er wäre jedenfalls an der Zeit!« bemerkte mein Vater abschließend und vertiefte sich wieder in seine Zeitung.
Ich hatte meine Zweifel, aber ich wollte die friedliche und versöhnliche Stimmung am Familientisch nicht stören. Für mich brach ein langer Abend an, dem eine noch längere Nacht folgte. Die Frage, was Murchison im Schilde führte und was er bereits in der Verfolgung seiner Ziele unternommen haben mochte, beschäftigte mich unaufhörlich.
Vierundzwanzig Stunden lang bekämpfte ich meine immer unerträglicher werdende Spannung und Ungeduld, dann aber hielt ich es nicht länger aus und machte mich zur gleichen Stunde, in der ich Fräulein Drost vor drei Tagen aufgesucht hatte, auf den Weg zur Kalendergasse.
Ich hoffte, sie allein anzutreffen, aber zwei ältere Damen waren im Laden, und Fräulein Drost war eifrig damit beschäftigt, sie in der Wahl ihrer Lektüre zu beraten. Der Blick aber, mit dem sie mich empfing, sagte mir deutlich, daß sie mit meiner Wiederkehr nicht gerechnet habe. Ja, mir war es sogar, als bereite ihr mein Kommen eine gewisse Verlegenheit und als wäre es ihr lieber gewesen, wenn ich ferngeblieben wäre.
Ich selber verspürte bei ihrem Anblick solch eine Befangenheit,
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